Die gestohlene Zeit
Straßen, als sie liefen, stets dem Käfer folgend, der ihnen den Weg auf der Karte wies, bis sie in dieser Höhle landeten, aus der der infernalische Lärm kam. Und in der sich Similde in Luft aufgelöst zu haben schien.
Laurin riss zornig die erstbeste Tür zu seiner Linken auf. Ein mehrstimmiges Kreischen ertönte. Es kam von drei Menschenfrauen, die vor hohen, weißen Brunnen standen, aus denen Wasser, von einer unsichtbaren Quelle gespeist, strömte. Laurin erkannte Schreck und Abscheu in ihren Augen. Hastig zog er sich zurück und öffnete die nächste Tür. Dort stand ein hochgewachsener Mann mit fast weißen, kurzen Haaren an einem muschelförmigen Gebilde, das aus der Wand zu wachsen schien. Thoralf traute seinen Augen nicht, als er das Plätschern hörte und sah, was der Menschling mit geöffneter Hose dort tat. Der Mann sah die beiden Zwerge und grinste mit glasigem Blick.
»Tja, Kumpels, da fehlen wohl ein paar Zentimeter an Höhe, und ihr müsst die Kabinen benutzen«, lallte er und drückte einen Knopf, woraufhin ein Rauschen ertönte und ein Miniatur-Wasserfall durch die Muschel donnerte. Entgeistert über die seltsamen Gewohnheiten im Menschenreich, hatte Laurin auch diese Tür wortlos wieder zugeschlagen.
Der dritte und letzte Eingang war versperrt. Was für die Zwerge, im Besitz des magischen Bergkiesels, kein Problem darstellte. Schon huschten sie durch den schmalen Spalt in die Dunkelheit und schlossen die Tür sorgfältig, ehe Laurin sich im schwachen Schein des Steins in dem Raum umsah und begierig schnüffelte. Seit er sein Reich verlassen hatte, spürte er seine Kräfte schwinden. Und etwas Ordentliches zu essen und zu trinken hatten er und sein Untertan bisher auch nicht gefunden. Zielstrebig ging der König daher nun auf ein kleines Holzfass zu. »Es riecht ähnlich wie Met, nur würziger«, befand er und hielt den Kiesel an eine versiegelte Öffnung des Fasses. Gleich darauf sprudelte schäumend-goldgelbe Flüssigkeit daraus hervor. Laurin kostete. »Delikat«, rief er und legte sich kurzerhand unter das Fass, so dass er bequem den herausschießenden Strahl mit seinem breiten Maul auffangen konnte. Thoralf wagte sich nun auch ein paar Schritte vor und nahm sich eine gläserne Gallone mit grüner Flüssigkeit vor, deren Versiegelung er kurzerhand abschlug. Er schüttete sich einen ordentlichen Schluck in die Kehle und war begeistert. Die Flüssigkeit war süß wie der wilde Honig der Bienen im Gebirge, gleichzeitig entfachte sie jedoch ein heißes Feuer in seinem Magen. Thoralf leerte mit einem Zug das Gefäß zur Hälfte und bewunderte die Kunst der Menschlinge, einen solch köstlichen Branntwein herzustellen, bevor er sich daranmachte, dem Inhalt den Garaus zu machen.
Da ertönten auf einmal Schritte, und gleich darauf wurde die Tür aufgerissen. Schon etwas unsicher auf den Beinen, verließ Laurin der Mut, einfach auf den Eindringling loszustürzen. Daher versuchten er und sein Untertan, sich hastig hinter ein paar aufeinandergestapelten Kästen zu verbergen. Dabei fiel dem Zwergenkönig jedoch der schwarze Kiesel aus der Hand und rollte über den Boden. Er wollte seinem Kleinod noch nachhetzen, doch zu spät: Schon ertönte ein seltsames Brummen, und unvermittelt war der Raum in taghelles Licht getaucht. Laurin konnte sich nur mit einem beherzten Sprung hinter ein leeres, achtlos beiseitegerolltes Fass retten. Der Menschling, der soeben den Raum betrat, hatte eine tiefe Stimme.
»Scheiße! Jetzt ist diese verdammte Tür immer noch offen«, brüllte er gereizt. Dann waren klirrende und schabende Geräusche zu hören. Vorsichtig lugte Thoralf aus seinem Versteck. Derselbe Mann, der sie an der Tür eingelassen hatte, wuchtete jetzt einige Kästen mit gläsernen Gallonen darin auf ein seltsames Gestell mit Rädern. Er kam dem Versteck Laurins gefährlich nahe, aber auf einmal bückte er sich und hob mit spitzen Fingern die leere, zerbrochene Flasche auf, in der noch bis vor wenigen Minuten der süße, grüne Feuertrank gewesen war.
»Mann, Mann, Mann! Saustall«, brummte der bullige Kerl und legte den Glasbehälter oben auf die Kästen.
Plötzlich stutzte er und bückte sich erneut. Zum Entsetzen des Königs hob er den schwarzen Zauberkiesel auf und steckte ihn in seine Tasche. Dann kippte er das Fahrwerk ein wenig schräg, und die Räder gerieten ins Rollen. Ehe Laurin noch darüber nachdenken konnte, ob er es trotz seines geschwächten Zustands nicht doch mit dem Menschling
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