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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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lässt. Auch wenn es dich noch so in den Fingern juckt!«
    Lilly seufzte, dann aber hob sie Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zu einem V. »Ich schwöre!«, sagte sie feierlich. Vorsichtshalber schielte ich hinter ihren Rücken, ob sie heimlich die Finger ihrer Linken kreuzte, doch sie schien den Ernst der Lage erfasst zu haben, denn sie versuchte keine Tricks.
    »Dann ist es also beschlossen«, sagte ich leise. »Wir werden Laurin rufen und ihm seinen Ring zurückgeben.«
    Mein Blick wanderte zu dem gezackten Bergmassiv, das majestätisch vor uns aufragte. In wenigen Stunden würde die Sonne untergehen und die Gipfel aufflammen lassen. Ein einziger würde in einem besonders intensiven Rot leuchten. Nur Jonathan und ich wussten, dass dies kein einfaches Naturschauspiel, sondern ein Garten voller magischer Rosen war, der für wenige Minuten in voller Pracht erblühte. Und niemand außer uns kannte das Geschöpf, dem dieser Garten gehörte und auf das wir bald treffen würden. Der Gedanke an Laurins abstoßende Gestalt ließ mich schaudern, aber ich hatte keine Wahl. Ich blickte auf und sah den Raben, der sich wie ein Scherenschnitt gegen die schneebedeckten Gipfel abhob. Auch wenn ich am liebsten nie wieder dorthin zurückgekehrt wäre, war ich entschlossen, für meine Liebe zu Jonathan dem Herrscher der Zwerge ein letztes Mal zu begegnen.
    Ich drehte mich zu Lilly um. »Gehen wir«, sagte ich.

[home]
    Kapitel 24
    D ie Sonne stand nur noch knapp über der Bergkette, als wir eine Gruppe Findlinge erreichten, die von geduckten Latschenkiefern gesäumt war. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in mir breit, und ich spürte, wie eine Gänsehaut mit dünnen Spinnenbeinen über meine Arme huschte. Ich brauchte nicht einmal Jonathans aufgeregtes Krächzen zu hören, um zu wissen: Wir waren fast da. Hinter diesen Findlingen hatte ich vor siebenundzwanzig Jahren den Zwerg erspäht und wenig später Laurins verlorenen Ring gefunden. Und dort hatten Udo und Frank mich verletzt und hilflos liegen lassen. Bis zum Rosengarten des Zwergenkönigs, dort, wo auch der Eingang zu seinem Reich lag, konnten es nur noch wenige Meter sein.
    »So, Lilly. Du versteckst dich zwischen den Felsen und bleibst dort so lange, bis ich dich hole. Ich will nicht mal deine Nasenspitze sehen, klar?! Denk dran, du hast es versprochen!«
    Mein barscher Ton war Absicht, denn sollte Laurin oder einer seiner Untertanen Lilly entdecken, würden sie nicht zögern, sich das Mädchen zu holen, wenn sie mich schon nicht haben konnten.
    »Ja, schon gut, Frau Oberfeldwebel. Ich bin ja nicht blöd«, sagte Lilly leicht beleidigt.
    »Das weiß ich! Aber erinnere dich daran, was ich dir über den Zwerg und meine Zeit in seinem Felsenreich erzählt habe. Oder willst du Gefahr laufen, sein nächstes Opfer zu sein, und riskieren, dass er
dich
heiraten will?«, fragte ich.
    »Uäh, ne, echt nicht!«, rief Lilly erschrocken. Das genügte, um mich zu überzeugen, dass sie diesmal meiner Anordnung folgen würde.
    Trotzdem vergewisserte ich mich mehrmals, ob Lilly in dem Versteck, das wir für sie aussuchten, für die Zwerge wirklich unsichtbar sein würde. Erst als Jonathan einen Kontrollflug gemacht und bestätigend gekrächzt hatte, war ich halbwegs beruhigt – jedenfalls was Lilly betraf.
    Beim Gedanken an meine Begegnung mit Laurin wurde mir jedoch angst und bange. Was, wenn den Herrscher sein magischer Ring überhaupt nicht mehr interessierte? Vielleicht würde er mich nur hämisch auslachen, ehe er mich packte und erneut in sein kaltfeuchtes Reich entführte? Ein heftiges Schaudern erfasste mich, als ich an sein entstelltes Gesicht und seine hornigen, klauenartigen Finger dachte. Jonathan musste meine Gedanken aufgefangen haben, denn er landete weich auf meinem Unterarm und sah mich mit seinen schwarzen Vogelaugen an. »Lass dich nicht einschüchtern«, schien er mir sagen zu wollen.
    »Du hast ja recht. Laurin hat das Versprechen gegeben, demjenigen drei Wünsche zu erfüllen, der ihm den Ring wiedergibt. Er wird sich wohl daran halten«, sagte ich, ohne zu wissen, wen ich beruhigen wollte – Jonathan oder mich selbst.
    Der Rabe schnarrte drängend und flatterte auffordernd mit den Flügeln – eine deutliche Aufforderung, uns auf den Weg zum Eingang des Berges zu machen.
    Keine Sekunde zu früh. Soeben schickte die orangegoldene Abendsonne ihre tiefstehenden Strahlen über die Bergkette, und mit einem Mal erblühte wenige Schritte vor mir der verzauberte

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