Die gestohlene Zeit
Gefühl, Jonathans Haut an meiner zu spüren und zu wissen, keine Uhr, kein Glockenschlag würde uns mehr auseinanderreißen können. Endlich würden wir wieder zusammen sein, so lange wir wollten.
Eng aneinandergeschmiegt verharrten wir sekundenlang, bis er sich sanft von mir löste. »Dürfte ich dich um die Kleidung bitten, die du mit dir führst?«, bat er mich höflich.
Immer noch aufgelöst und mit Tränen der Freunde in den Augen nickte ich und reichte ihm den Rucksack. Während Jonathan nach den Klamotten kramte, die ich bei Lilly zu Hause eingepackt hatte, schweifte mein Blick zu Laurin, und ich zuckte zusammen.
Der blanke Hass stand ihm ins Gesicht geschrieben und rührte nicht nur von der Wut über den Verlust seiner Braut her. Es war die Eifersucht auf Jonathan, die den hässlichen Zwerg rasend machte. Er sah aus, als würde er uns gleich den nächsten Fluch auf den Hals jagen … Bei dem Gedanken zuckte ich zusammen. Ich musste unbedingt verhindern, dass so etwas passierte. Daher beeilte ich mich, einen zweiten Wunsch vorzutragen.
»Du wirst versprechen, Jonathan und mich weder jetzt noch in Zukunft noch einmal zu verfluchen oder zu verzaubern!«
An der enttäuschten Miene des Zwerges erkannte ich, dass er genau das vorgehabt hatte, aber er musste notgedrungen einlenken.
»Ich verspreche es«, murmelte er widerwillig.
»Bei diesem Ring verspreche ich es«, soufflierte ich.
»Bei diesem Ring … verspreche ich … es«, wiederholte Laurin verbissen.
Mein Herz, das die ganze Zeit schon schlug wie eine außer Rand und Band geratene Ballmaschine beim Tennis, legte noch an Tempo zu, denn jetzt hatte ich nur noch einen einzigen Wunsch frei. Ich musste genau überlegen und sorgfältig formulieren, wie ich meine letzte Forderung an den Herrscher der Zwerge stellte. »Du wirst mir auf der Stelle die Freiheit schenken und dabei schwören, mich weder jetzt noch in Zukunft zu jagen und zu verfolgen. Ich wünsche, dass du mich ab diesem Augenblick als deine Braut und als Gefangene freigibst«, forderte ich. »Und du wirst mich nicht mit deiner Rache verfolgen. Ebenso wenig wie Jonathan«, fügte ich rasch hinzu.
Ein wütendes Heulen entrang sich der Kehle des Zwerges. Er fletschte seine gelben Zahnstümpfe und ballte die Fäuste. Doch ich ließ mich nicht beeindrucken, sondern hielt nur wortlos den Ring hoch, der im Abendlicht nun in einem tiefen Kupferton glänzte.
Laurin verstummte. Keuchend blickte er auf sein Kleinod, während es in seinem Gesicht zuckte.
»Gut«, stieß er nach einer Weile, die mir endlos erschien, schließlich hervor. »So sei es! Du bist frei.«
»Schwöre«, forderte ich. »Sonst soll sich die Kraft des Ringes gegen dich wenden, und dein unterirdisches Reich wird untergehen!«
Laurins Gefolgschaft winselte ängstlich und warf ihrem Oberhaupt flehende Blicke zu. Scheinbar sahen die Gnome sich schon in Flammen aufgehen oder Ähnliches. Der König zitterte vor Erbitterung, aber er schwor es schließlich bei seinem Ring.
Ich atmete tief aus. Es war geschafft. Im selben Moment spürte ich Jonathans warme Hand, die sich in meine eiskalte schob. Schlagartig fühlte ich mich besser. Nun stand unserer Liebe nichts mehr im Weg.
»Ich habe meine Versprechen erfüllt, Menschling«, hörte ich Laurin sagen. »Nun erfülle du das deinige!«
Langsam zog ich den Ring vom Finger. Ich verspürte keinerlei Bedauern, ihn hergeben zu müssen. Für mich war er nicht die Erfüllung meiner Träume, sondern eher eine Last gewesen, denn ich wusste, was er bei seinem ehemaligen Träger angerichtet hatte. Selbst wenn sein Besitz Unsterblichkeit versprechen würde – was nützte es mir? Ich wollte keine Minute meines Lebens mehr ohne Jonathan sein.
Trotzdem brachte ich es nicht über mich, Laurin den Schmuck zu überreichen, aus Furcht, seine ledrige Haut würde mich streifen, und sei es auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Vielleicht würde er doch versuchen, mich festzuhalten und mit sich in die klamme, kalte Dunkelheit zu ziehen … Daher holte ich nur sanft Schwung und warf den Ring zum König hinüber.
Wie ein gieriger, plumper Vogel schnappte Laurin danach und streifte ihn dann andächtig über den kleinen Finger. Sein Blick klebte an dem Goldreif mit dem kostbaren Stein. Mich schien er gar nicht mehr wahrzunehmen. Auch seine Zwerge bestaunten den wiedergewonnenen Schmuck, und ich drückte stumm Jonathans Hand, als Zeichen, uns möglichst unauffällig zu entfernen. Ich war mir sicher,
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