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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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einfach wieder nach oben gehen, okay?«
    Laurin glotzte mich an. »Similde, welchen Schabernack treibst du mit mir?«, fragte er mit schiefgelegtem Kopf.
    »Tue ich doch gar nicht«, rief ich ungeduldig. »Das Ganze ist ein Missverständnis. Similde ist …« Ich hielt inne. Eigentlich hatte ich sagen wollen »nur eine Sagen-Gestalt«, aber das konnte nicht stimmen, denn Laurin redete ja die ganze Zeit von ihr. Sie hatte also gelebt, genauso wie die Zwerge, deren Existenz ich bisher auch nur in Märchen vermutet hatte.
    »Similde ist längst tot«, ergänzte ich daher. Nicht sehr diplomatisch, aber ich wollte Klarheit – und vor allem hier heraus!
    »Unmöglich«, rief Laurin aufgebracht. »Ich erkenne dein Haar wieder. Und deine lieblichen Züge, geliebte Similde. Ich habe dein Gesicht genauso wenig vergessen wie dero schlanken Leib …«
    Langsam wurde es mir zu bunt. Wieso redeten diese Zwerge eigentlich alle so geschwollen, und was bildete sich ihr König überhaupt ein? »Ich bin nicht Similde, klar?«, blaffte ich. Und fügte in Gedanken »leider« hinzu. Die war nämlich damals von ein paar Rittern, Recken oder wie die Typen auf ihren Schlachtrössern damals genannt wurden, befreit worden. Bei mir war nicht mal ein räudiges Pony in Sicht, geschweige denn ein Ritter obendrauf, der mich im Galopp hier herausholte.
    Ich hatte kaum zu Ende gedacht, da spürte ich einen harten Griff um meinen Oberarm. Gelblich-spitze Zwergenfingernägel krallten sich durch den dünnen Stoff des Wanderhemds in meine Haut, so dass ich vor Schmerz und Schrecken aufschrie.
    »Wie wagst du es, mit unserem König zu sprechen?«, keifte einer der Zwerge, die daran schuld waren, dass ich überhaupt hier gelandet war. Noch bevor ich reagieren konnte, hatte Laurin seinen Untertan blitzschnell am Kragen gepackt. Dessen Tentakelfinger lösten sich von meinem Arm, und im nächsten Moment segelte der Zwerg, vom König geschleudert, quer durch die Halle. Mit einem dumpfen Klatschen prallte er nach einigen Metern Freiflug gegen die Höhlenwand und fiel zu Boden.
    Fassungslos verfolgte ich das Schauspiel. Laurin musste trotz seiner geringen Größe Bärenkräfte besitzen. Die anderen Gnome betrachteten ihren Genossen, der wie ein überfahrener Frosch auf der Erde lag, kurz ohne einen Funken Mitleid, dann wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Herrscher zu. Der musterte sein Volk finster. »Wehe euch, wenn ihr sie in der Oberwelt auch nur angefasst habt«, drohte er. Dann sah er zu mir, die ihn mindestens um zwei Köpfe überragte, hinauf und säuselte: »Hat man meinem Liebchen ein Weh getan?«
    Ich glotzte ihn etwas dümmlich an, bis mir aufging, dass er wissen wollte, ob seine Brutalo-Spießgesellen mich vorhin misshandelt hätten. Im ersten Reflex hätte ich am liebsten gepetzt und ihm erzählt, mit welchen üblen Dingen mir seine sauberen Zwerge gedroht hatten. Dann aber beschloss ich, die Klappe zu halten und meine Peiniger zu schützen – vorerst. Wer weiß, wofür es noch gut sein würde.
    Also schüttelte ich stumm den Kopf und sah aus dem Augenwinkel, wie sich auf den hässlichen Gesichtern meiner Bewacher Erleichterung breitmachte. »Freut euch ja nicht zu früh«, dachte ich grimmig. Ehe ich jedoch überlegen konnte, bei welcher Gelegenheit ich den Zwergen mit meinem Ass im Ärmel noch ordentlich einheizen könnte, streckte König Laurin die Hand aus und griff, genau wie der Zwerg vorhin, nach einer meiner Haarlocken. Seine Finger waren noch dürrer und schrumpliger als die der anderen Zwerge, die Nägel noch länger, spitzer und ungepflegter.
    Mit einem Laut des Widerwillens wich ich zurück. Seine Miene verdüsterte sich. »Du scheust mich immer noch, Similde«, sagte er tadelnd.
    »Kein Wunder! Heute schon mal in den Spiegel geschaut?«, rutschte mir heraus. Ich wäre gerne noch ausführlicher geworden, aber gerade noch rechtzeitig fiel mir ein, was Laurin im Zorn mit einem seiner Zwerge angestellt hatte. Daher beschloss ich vorsichtshalber, ihn nicht weiter zu reizen. Da wandte sich der Zwergenkönig an sein Volk, als hätte er meine Antwort nicht gehört.
    »In drei Tagen soll nun endlich die Hochzeit sein«, verkündete er feierlich.
    »Was?«, schrie ich auf. Das konnte ja wohl nicht sein Ernst sein! Ich sollte diese hässliche Ausgeburt heiraten? »Kommt gar nicht in Frage!«, rief ich.
    Laurin jedoch sah einfach über meinen Einwand hinweg. »Man nähe Similde ein Brautgewand«, bestimmte er. Unwillkürlich hatte ich

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