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Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Titel: Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Prickett.
    »Nein, wirklich nicht«, beteuerte Jonas und wünschte, ihm würde eine gute Lüge einfallen. Der Mopp, der ihm auf die Brust tropfte, brachte ihn auf eine Idee. »Ich habe mich bloß an die Tür gelehnt, um besser in die Ecken zu kommen. Ich habe überhaupt nicht gelauscht! Und kein Wort gehört!«
    Es war frustrierend, mit John Hudsons Stimme lügen zu müssen. Sie klang piepsig und unglaubwürdig.
    Nicht, dass es mit Jonas’ echter Stimme besser geklappt hätte.
    »Wir müssen ein Exempel an ihm statuieren«, sagte Prickett.
    1611 gehörte doch hoffentlich nicht zu den Zeiten, als man Dieben die Hände abhackte, oder? Falls doch, war die Strafe für heimliches Lauschen dann wohl   … dass man ihm ein Ohr abschnitt?
    Jonas hob die Hände an die Ohren, was ihn vermutlich noch schuldbewusster aussehen ließ.
    »Bitte«, sagte Jonas. »Vater   …«
    Er flehte Hudson an, doch dessen Blick huschte hin und her und heftete sich zuerst auf Prickett und dann auf King.
    Er weigerte sich, Jonas in die Augen zu schauen.
    »Wir könnten ihn an den Pranger stellen«, schlug Prickett vor. »Mitten an Deck, damit ihn alle sehen können.«
    Pranger?, überlegte Jonas fieberhaft. Er sah zu Katherine hinüber und hoffte, dass sie wusste, was das zu bedeuten hatte. Wenn es zu schlimm war, würde er vielleicht aufspringen und flüchten müssen.
    Doch
wohin
sollte er flüchten?
    Katherine sah ebenso verwirrt aus, wie er sich fühlte. Wieder formte sie tonlos Worte. Vielleicht:
Ich werde dich retten, wenn es sein muss
?
    Es war so gut wie unmöglich, von fast unsichtbaren Lippen abzulesen.
    John King bückte sich und packte Jonas an den Schultern. Er hielt ihn so fest, dass er ohnehin keine Chance gehabt hätte, zu entkommen. Dann bugsierte er ihn aus der Kajüte.
    »Alle Mann an Deck!«, rief Hudson in den Bauch des Schiffes. »Auf der Stelle!«
    »Bringt auch die Kranken und Lahmen!«, rief Prickett hinterher.
    Das Herbeischaffen der Kränksten bedeutete, dass »auf der Stelle« ziemlich lange dauerte. Jonas stand da und zitterte in Kings Umklammerung.
    »Ich habe wirklich nicht   …«, unternahm er einen weiteren Versuch.
    »Schweig!«, knurrte King und schlug ihm so fest ins Gesicht, dass Jonas die Zähne wackelten.
    Er kam zu dem Schluss, dass es das Beste war, den Mund zu halten. Doch er sah sich weiter um und versuchte herauszufinden, welche Strafe Prickett, Hudson und King für ihn vorgesehen hatten.
    Meuterer enden immer am Galgen
, hatte Hudson erst am Vormittag gesagt. Aber beim Lauschen erwischt zu werden wurde doch sicher nicht als Meuterei betrachtet, oder?
    Schließlich war auch der Rest der Mannschaft an Deck versammelt. Seit er ins Jahr 1611 gekommen war, hatte der Anblick von Narben, Zahnlücken und eiterndenWunden für Jonas viel von seinem Schrecken verloren. Doch die Besatzung als Ganzes, alle zusammen, waren ein scheußlicher Anblick. Die Männer waren in Lumpen gekleidete Skelette, über Knochen gespannte Hautkrankheiten, zum Leben erwachte Totenmasken.
    Im einundzwanzigsten Jahrhundert würde jeder Einzelne von ihnen im Krankenhaus liegen, dachte Jonas. Wahrscheinlich auf der Isolierstation.
    Neben ihm wich Katherine einen Schritt zurück.
    »Hört her! Hört her!«, rief Hudson. »Diesem Knaben mangelt es an Respekt vor dem Schiffsreglement! Daher wird er zur Strafe bis zum morgigen Sonnenuntergang an den Pranger gestellt!«
    »Die geht hier um diese Jahreszeit erst mitten in der Nacht unter«, murmelte Staffe.
    »Das ist mir wohl bewusst«, erwiderte Hudson mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme. »Da Ihr meine Kenntnisse ebenso anzuzweifeln scheint wie dieser Knabe meine Autorität, möchtet Ihr Euch vielleicht zu ihm gesellen?«
    Staffe sah Jonas in die Augen. Dann wandte er den Blick ab.
    »Nein«, sagte er.
    Jonas hörte ein rollendes Geräusch hinter sich, als würde irgendein Gerät herbeigeschafft. John King drückte seine Schultern nieder und zwang ihn auf die Knie. Dann packte er Jonas’ Kopf und zerrte ihn nach vorn.
    Seine Kehle schlug hart auf Holz.
    Wenn »Pranger« ein altmodischer Ausdruck für »Guillotine« ist, wird Katherine sich doch sicher etwas einfallen lassen, um das hier aufzuhalten, bevor mich jemand umbringt, oder?, fragte sich Jonas benommen.
    Jemand zerrte seine Hände nach vorn, sodass auch seine Handgelenke auf Holz schlugen.
    Verzweifelt bemühte sich Jonas darum, den Kopf zu drehen, um nach Katherine Ausschau zu halten und um zu sehen, was als

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