Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4
flüsterte Katherine zurück, die Stimme nur unwesentlich leiser. »Wir haben es geschafft! Wenn die Marker wieder da sind, dann ist auch die ursprüngliche Zeit wieder da! Wir können sehen, welchen Verlauf die Dinge nehmen sollen, und alles auf den richtigen Weg bringen!«
Aber nur, wenn wir die Marker einholen, dachte Jonas.
»Vielleicht sollten wir lieber rudern«, sagte er laut und an die ganze Bootscrew gewandt. »Dann sind wir schneller da.«
Er tauchte sein Ruder ins Wasser. Kurz darauf sah er, dass John King sich vom Boden aufgerappelt hatte und auf der gegenüberliegenden Seite ebenfalls zu rudern begann. Die Schaluppe glitt durch das Wasser und näherte sich der Markerversion.
Mit jedem Ruderschlag fühlte sich Jonas besser. Das Gefühl, zerrissen zu werden, war verschwunden, und er war ziemlich sicher, dass es den anderen in der Schaluppe ebenso erging. Selbst die kränksten Seeleute hatten sich auf ihren Plätzen aufgerichtet. Staffe stand am Mast und richtete die Segel aus. Nur Henry Hudson hockte immer noch zusammengekauert da und hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
Doch so saß auch Hudsons Marker da, wie Jonas jetzt besser erkennen konnte.
Die Schaluppe näherte sich ihrer Markerversion. John King legte sich stärker in die Riemen. Es war, als würden die Seeleute vorwärtsgetrieben und auf ihre Marker zustreben.
Jonas fiel ein, dass Zwei sich im Jahr 1600 beklagt hatte, die Marker seien wie Schicksal, das Menschen an ihren Platz fesselte. Wahrscheinlich sah es wirklich so aus, wenn man die gleichen Zeitabschnitte immer wiederbetrachtete, Hunderte Wiederholungen hindurch, so wie Zwei es als Zeitanalyst getan hatte. Aber die Seeleute in der Schaluppe kannten ihr Schicksal nicht. Sie strebten einfach nach dem Leben, in das sie gehörten.
Ruckartig schob sich die Schaluppe an die gleiche Stelle wie ihr Marker. Sämtliche Seeleute nahmen unverzüglich kleine Veränderungen vor, sodass sie genau mit ihren Markern übereinstimmten. Manche rutschten ein kleines Stück nach links, andere nach rechts. Staffe schob die Hand ein wenig den Mast hinauf. Hudson sackte noch mehr in sich zusammen. King zog sein Ruder ein.
»Genau«, sagte Jonas zustimmend. »Wir können eine Pause einlegen und erst mal die Segel benutzen.«
King nickte ihm zu und Jonas fragte sich, aus welchem Grund er wohl im ursprünglichen Verlauf der Geschichte genickt hatte.
»Die Winterhütte war nicht dazu gedacht, mehr als eine Jahreszeit zu überdauern«, jammerte einer der kranken Seemänner.
»Sie ist robust«, erwiderte Staffe ungeduldig. »Sie wird noch stehen.«
»Außerdem haben wir den
Winter
in ihr überlebt«, fügte King hinzu. »Dann ist der Sommer ein Kinderspiel.«
»Für den nächsten Winter können wir Vorräte anlegen«, sagte Staffe. »Dann sind wir gewappnet.«
Jonas sah, dass keiner wirklich glaubte, was er sagte. Er hatte einmal einer Fußballmannschaft angehört, die jedes Spiel verlor. Vor jedem Spiel hatte ihnen der Trainer Lügen darüber aufgetischt, dass
dieser
Gegner ihnen klar unterlegen sei und dass sie
diese
Mannschaft bestimmt besiegen würden.
Und dann ging Jonas’ Mannschaft aufs Feld und verlor 8:0, 10:0 und einmal sogar 12:0.
Daran erinnerte ihn das Gerede in der Schaluppe: an die falschen Aufmunterungssprüche seines Fußballtrainers.
Und dabei ging es bloß um Fußball, dachte er. Hier geht es um Leben und Tod.
Er erinnerte sich an HKs Worte, gleich nachdem er und Katherine im Jahr 1611 angekommen waren: »Der Winter war hart. Und der Frühling auch.« Jonas konnte jedem Einzelnen im Boot ansehen, wie viel sie bereits durchgemacht hatten.
Und was ist mit mir und Katherine?, fragte er sich. Was können wir aushalten?
Seine Freude über das Wiederfinden der Marker legte sich. Was nützte es, die Zeit zu retten, wenn die Insassen der Schaluppe doch allesamt dem Untergang geweiht waren?
Sechsunddreißig
Land kam in Sicht. Unter erneutem Einsatz der Ruder steuerten die Männer die Schaluppe zu einer behelfsmäßigen Anlegestelle mitten in einem Sumpfgelände. Jenseits des flachen, buschigen Terrains sah Jonas einen knappen Kilometer entfernt die Spitze eines Daches.
»Die Hütte steht noch«, sagte Staffe mit einer winzigen Spur Erleichterung in der Stimme.
»Staffe, Ihr müsst vorausgehen und alles tun, um sie wieder wetterfest zu machen«, sagte Hudson. »King, Ihr bringt die Lahmen zur Hütte. Ich sorge dafür, dass die Schaluppe an einen sicheren Platz gebracht wird, ehe
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