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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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wohin hatte sie das gebracht? Wenn der Meister sie nicht gleich verriet, dann an einem anderen Tag. Wenn er schlechte Laune hatte. Wenn sie einen Stoff verdarb. Vielleicht sogar, wenn Wiffi wieder gehen konnte, nachdem Anna inzwischen wusste, wie es im unteren Stockwerk aussah. Sie konnte ihm nicht vertrauen.
    "Du glaubst mir nicht, oder?"
    Konnte er Gedanken lesen?
    Ächzend, aber entschlossen erhob sich Spierl. "Komm!" Grob zog er Anna am Arm. Sie hatte es gewusst - er hatte es sich anders überlegt. Wo wollte er sie hinsperren? Ihre Kammer war von innen zu öffnen. Sie machte sich schwer, stand einfach nicht auf. Wenn er Hilfe herbeiholte, würde sie eben fliehen. Wiffi konnte sie nicht aufhalten, Jan und Dietrich hingegen war sie nicht gewachsen.
    "Komm schon, nun stell dich nicht so an!", rief er, diesmal lauter.
    Auch Anna erhob die Stimme. "Ich komme nicht mit. Holt die Schergen doch her, Lügner!"
    " Leise, dummes Ding! Ich hole niemanden, ich will dir etwas zeigen, damit du mir glaubst. Ich verrate dich nicht." Als sie zögerte, zog er sie am Ärmel. "Komm endlich, sonst überlege ich es mir doch noch anders."
    Seufzend gab Anna nach. Was konnte es schaden? Ihn allein würde sie ohne Weiteres überwältigen, und solange sie bei ihm war, konnte er den Riegel zum Aufgang zu den Gesellenkammern nicht lösen. Sie kam auf die Füße und heftete sich an seine Fersen.
    Der Meister schlich so leise durch den Flur , wie sie selbst es immer tat. Kein Wunder, dass sie ihn nicht gehört hatte. An der Tür zum Dachgeschoss ging er vorbei, und Anna atmete auf. Erst vor seiner Stube hielt er inne und trat ein. Eine einzelne Öllampe tauchte das Zimmer in ein heimeliges Licht. Anna folgte ihm.
    " Schließ die Tür!"
    Anna tat , wie ihr geheißen. Der Gewandschneider trat zu einem Regal und räumte einen Stoffstapel zur Seite. Dann schob er den Arm in die Lücke und zog so kräftig, dass sein schmächtiger Körper sich wie eine Feder spannte. Kein Knarren, kein Quietschen bereiteten Anna darauf vor, was sie zu sehen bekam.
    Ein Teil des Regals und ein Stück der Wand gaben nach und schwangen lautlos auf.
    Der Meister gab ihr kein Zeichen, er war offenbar sicher, dass sie schon aus Neugier hinter ihm herkam. Anna trat um das Schreibpult herum und näherte sich der Öffnung. Da wandte Meister Spierl sich um und deutete zum Tisch. Anna zuckte zurück.
    "Die Lampe, wir brauchen die Lampe ..."
     
    Der Raum war in etwa so lang wie Spierls Arbeitsstube und schmal wie Annas Kammer. Mit ausgestreckten Armen hätte sie beide Wände berühren können. Dunkle Holzregale zogen sich an den Seiten entlang und bis zur Decke hinauf.
    "Was hat das zu bedeuten?", raunte Anna.
    "Mein Warenlager. Aber erst einmal lass mich die Tür wieder verschließen. Wiffi weiß nichts von dieser Kammer."
    War es seine Stimme oder die Tatsache, dass er ihr etwas anvertraute , das er Wiffi nicht gesagt hatte? Anna nickte.
    So schnell , wie er zur Tür gewieselt war und sie verrammelt hatte, war Spierl wieder bei ihr. Er nahm ihr die Lampe ab und hielt sie dicht an eines der Fächer.
    "Fass nichts an, vor allem nicht die Schnüre." Stück um Stück leuchtete er die Regale ab.
    Da erst erkannte Anna, was sie enthielten. Schnüre, wie sie zum Vermessen benötigt wurden, hingen ordentlich aufgereiht, fertige Hemden, eine Kotta, ja, ganze Gewänder aus schimmernden Stoffen waren zu finden; in einem Fach standen sogar zwei Bücher.
    "Bücher?" , fragte Anna.
    Der Meister reichte ihr die Lampe, zog einen der Folianten heraus und öffnete ihn.
    „ Hier ist alles notiert, was ich über einen Kunden wissen muss. Welche Farben er bevorzugt, welche Stoffe. Wen die Wolle kratzt und wer ein Mal zu verstecken hat unter dem hohen Kragen. Wer für andere Weiber als das eigene bestellt - und zahlt. Mein ganzes Leben als Meister steckt in diesen Büchern.“ Er neigte den Kopf und wurde still. Schließlich klappte er das kostbare Buch zu. „Kannst du dir vorstellen, dass Dietrich darin herumkritzelt?“ Er schüttelte sich und stellte das Buch zurück ins Regal. "Ich hätte einen Sohn haben sollen. Es ist ungerecht."
    Der Anblick des verbitterten alten Mannes weckte Annas Argwohn aufs Neue. Was sollte ihn davon abhalten, sie zu melden? Dass er Streit mit Wiffi bekam, wenn sie erst nach Anna von seiner geheimen Kammer erfuhr?
    "Was wollt Ihr mir mit dieser Enthüllung beweisen?" Ihre Stimme klang kratzbürstiger als beabsichtigt.
    "Das weiß t du nicht?"
    Sie schüttelte den

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