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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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ihm das Wort ab.
    „Genug.“ Im Stehen und von der Seite sah Anna erst jetzt, wie wundervoll der Mantel bestickt war. Eins der Motive zeigte einen Löwen - aber welch seltsames Tier erlegte die Raubkatze?
    Erschöpft ließ der Herrscher sich auf den Thronsessel zurücksinken und legte die Hand an die Stirn. „Petrus, verlies ihm Anklage und Urteil. Dazu lass die Leute wieder hereinrufen.“
    Anna verstand nichts mehr. Waren also beide gegen Gottesurteile? Warum dann die Verhandlung? Der Saal war voll, Petrus de Vinea entrollte ein Pergament und las. Seine harte Stimme hallte bis in den letzten Winkel.
    „Heinrich, König von Deutschland, du bist der crimen laesae majestatis in Vorsatz, Wort und Tat angeklagt und für schuldig befunden.“
    Heinrich ächzte und sa nk in sich zusammen, Petrus fuhr ungerührt fort.
    „Auf dieses Verbrechen steht die Todesstrafe.“
    Der Angeklagte richtete sich auf. “Nein! Nein!“, rief er. „Ihr könnt mich nicht töten. Ich komme als Herrscher, der sich unterwirft. Vater, du musst mir vergeben!“
    Der Kaiser wandte den Bli ck ab.
    Petrus, schadenfroh grinsend, beugte sich vor und sprach mit verhaltener Stimme weiter. „Lass mich dir als Jurist etwas sagen: Diese Art von Vergebung kannst du rechtlich nur bei deiner ersten Unterwerfung fordern. Du bist also ganz von der Gnade des Kaisers abhängig.“
    Heinrich zuckte zusammen , und sein Kopf sank auf die Brust.
    Petrus de Vinea lehnte sich zurück und rollte das Pergament zusammen.
    „Vater, du kannst mich nicht töten“ , wimmerte Heinrich.
    Lange sagte der Kaiser kein Wort, trotzdem blieb es still, als könn ten jeder Laut, jede Achtlosigkeit das Leben des armen Königs dort vorn beenden. Als der Kaiser sprach, klang seine Stimme müde.
    „Ich lasse dich nicht töten.“
    „Gott sei gedankt“, entfuhr es Heinrich. „Dir sei ebenfalls Dank“, fügte er rasch hinzu.
    Der Kaiser schüttelte den Kopf und schnaubte durch die Nase, als hätte er einen üblen Geruch wahrgenommen.
    „Aber ich muss dich an einen Ort bringen, wo du Zeit deines Lebens keinen Schaden mehr anrichtest. Du wirst die Jahre, die dir noch bleiben, im Kerker verbringen. Möge die Sonne Italiens Licht und Wärme in dein Verlie s bringen, denn Gott ist mein Zeuge: Lieber sähe ich dich frei. Ich bin auch nur ein Vater. Schafft ihn bis zur Abreise in die Feste Luginsland.“ Der Kaiser erhob sich und verschwand hinter dem Thron. Die Wachen packten Heinrich, der schrie und um sich schlug, und zerrten ihn zum Ausgang.
    „Vater, nein, Vater, wir müssen reden, es ist noch nicht ... Vater!“ Die Schreie brachen ab, die Türen schlugen zu.
    Anna ließ den Blick schweifen. Der riesige Saal leerte sich langsam. Der Kaiser aber trat wieder hinter dem Vorhang hervor und setzte sich auf den Thron.
    Die Wächter schleppten ein schreiendes Weib herbei und warfen es vor seinen Füßen zu Boden.
    „Sie hat eine n der kaiserlichen Wächter angegriffen und verräterische Parolen gebrüllt“, erklärte Petrus de Vinea.
    Anna blieb wie vom Donner gerührt stehen - das war doch die Alte vom Platz draußen, die mit dem Apfel.
    Müde rieb sich der Kaiser die Stirn. „Petrus, welche Strafe gebührt einem Menschen, der ein Mitglied des Hofes angreift?“
    „Die gleiche wie bei geringgradigem Verrat, Majestät, das Blenden.“
    Friedrich der Zweite hatte sich erhoben. „Blendet sie!“, befahl er beiläufig und verließ den Saal.
     
    Anna nickte dem freundlichen Wächter zu und schritt durch den halb leeren Saal zum Ausgang. Gut, dass die Verhandlung vorüber war. Die arme Frau. Nur für das Apfelwerfen war die Strafe grausam. Andererseits hatte der Kaiser gerade einen König lebenslang eingekerkert, vielleicht ohne Grund? Anna beschloss, besonders vorsichtig zu sein und sehr ordentlich zu nähen, sicher war sicher. Aber zuerst musste sie sich stärken, sie hatte Hunger und Durst. Vielleicht stand schon etwas zu essen in ihrer Kamm...“
    Petrus de Vinea s Gesicht tauchte vor ihr auf.
    „Du!“ Mehr sagte er nicht. Während Anna nach Atem rang und hinter ihm hersah, wurde ihr klar, dass sie nicht die Einzige war, die er angesprochen hatte. De Vinea schritt durch die Menge und benannte einige Dutzend Männer und Frauen, begleitet vom Kämmerer mit seinem Buch, der hier und dort auf einen der Wartenden deutete.
    Jemand zupfte Anna von hinten am Ärmel. Wem war sie schon wieder auf die Füße getreten? Gereizt wandte sie sich um und blickte in Meister Spierls

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