Die Gewandschneiderin (German Edition)
meinte Anna, die Stimme ihres Vaters zu hören, der sie von der Mutter und den Flammen wegjagte. Die Beine knickten ihr ein, und sie sank zu Boden. Alimahs Stimme schien ihr zuzuflüstern, Friedrich halte seine Versprechen immer. Sie glaubte ein Jagdhorn und Bärs erstes Bellen zu vernehmen. ”Bis ich wiederkomme, ist das Feuer an!”, hörte sie ihren Vater befehlen. “Du wirst brennen, Hexe, und der Köter auch!”, schien Heinz’ brüllende Stimme an ihr Ohr zu dringen.
Anna keuchte und stemmte sich auf die Unterarme, dann auf die Hände, bis sie schließlich aufrecht stand. Sie musste Falke retten, vielleicht würde sie dadurch ihre Schuld Bär gegenüber tilgen. Allein gelassen hatte sie ihn damals. Tränen rannen ihr über die Wangen, aber sie nahm sich nicht die Zeit, sie wegzuwischen. Obwohl Anna immer noch schwindelte, rannte sie auf das Tor zu. Der Rauch war inzwischen so dicht, dass sie nur noch schemenhaft sah, wie Heinz entschlossen die Heugabel hob.
Anna lief bis kurz vor de n Ausgang, ergriff eine Sense und stürzte zurück zur Grube. “Lass sie scharf sein, sonst bricht es Falke den Hals!”, betete Anna laut. Dann hieb sie das Seil dicht unter dem Balken mit einem Schnitt durch, warf die Sense fort und kletterte in die Grube. Sie nahm den kleinen Hund auf den Arm und erklomm die Leiter. Fast oben angelangt, hob sie den Hund über den Rand und wollte sich aus dem Loch hieven. Es knackte. Eine Sprosse brach, Anna rutschte ab und verlor den Halt. Ein dumpfer Schmerz am Hinterkopf, dann Stille.
Was war das für ein Lärm? Ihr Kopf schmerzte, und die Geräusche verursachten ihr Brechreiz. Anna schlug die Augen auf. Falke. Die Scheune. Brandgeruch. Sie fuhr hoch, ohne auf den dumpfen Schmerz zu achten, der im Hinterkopf wütete. Sie musste herausfinden, wie es dem Hund ging.
“Nein, Kaiser sagt , jetzt kommen …” M´Bas Stimme, so laut, dass sie deutlich durch die Tür drang.
“Und ich sage, sie isst erst etwas, basta. Muss ich dir wieder eins über deinen krausen Schädel geben, damit du tust, was ich sage?”, fauchte Alimahs Stimme.
Die Tür öffnete sich , und die Köchin schlich ins Zimmer. Der Holzteller, den sie mit der Linken trug, war beladen mit Kuchen und einem Becher. Mit der Rechten schloss sie leise die Tür.
“Wie geht es dir?” , flüsterte sie.
“Ganz gut” , sagte Anna. “Wo ist Falke?”
“Ich wei ß es nicht, man hat mir nur gesagt, du seist gefallen, auf einen Balken.” Alimah schob einen Stuhl neben das Bett und stellte den Teller darauf ab. Kuchen und Most hätten sie sonst gelockt, aber Anna war speiübel.
“ Du solltest rasch noch etwas essen. Der Kaiser wartet auf dich, im Saal.”
Pflichtschuldig biss Anna ein Stück von dem saftigen Eierkuchen ab und spülte mit einem großen Schluck Most nach.
“Wirklich gut” , log Anna, schwang die Beine von der Bettstatt und wartete, bis der Schwindel nachließ. Schließlich stand sie auf. “Ich bin bereit.”
Vor der Tür stand M´Ba. “Anna! Kommen, Kaiser warten.”
War der Gang schon immer so lang gewesen? Bleierne Müdigkeit drückte Anna nieder , und das Atmen schmerzte. Sie kannte das, eine Folge des Rauches. Sie nahm eine Haarsträhne zwischen die Finger und schnupperte daran. Der Brandgeruch war betäubend. Schritt um Schritt ging es vorwärts, kaum konnte sie mit dem Wächter und der Köchin mithalten. Auch ihr Arm tat höllisch weh. Ein dickes Brandloch, umkränzt von Heuresten, prangte in ihrem Ärmel - ein Glutbrocken musste in die Grube gefallen sein. Sie schob den Stoff hoch. Eine dicke weißliche Blase saß inmitten eines apfelgroßen roten Brandfleckes. Sie biss die Zähne zusammen.
“Ich gebe dir später Lavendelöl, dann tut es nicht mehr so weh”, keuchte Alimah. Offenbar war Anna nicht die Einzige, die Mühe hatte, M`Bas langen Schritten zu folgen.
“M`Ba, du bist zu schnell !” Anna blieb stehen und hielt sich den Kopf.
“Sehr schnell.” M´ba blieb ebenfalls stehen , er grinste breit. Anna bekam das Gefühl, dass er mehr Zähne hatte, als es sich gehörte.
“So schnell, dass Kaiser M´ba sagen , gehen retten Anna, weil schneller laufen.” Er trommelte sich mit beiden Fäusten auf die Brust. “Ich dich retten - du mir gehören.”
Alimah warf ihm einen finsteren Blick zu.
M´Ba verdrehte die Augen, bis das Weiße zu sehen war. “Kaiser sagen retten, also du Kaiser gehören.”
Alimah nickte zufrieden , und M`Ba seufzte, dann hellte sein Gesicht sich auf.
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