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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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    „Was hast du nur getan , Maffritt? Was hast du nur getan?“, flüsterte Evphemia ein ums andere Mal.
„Ich war es nicht, der Gaul ist schuld.“
Anna hatte den Onkel ganz vergessen. Das Pferd stand still im Geschirr, daneben Maffrit, die Kappe in der Hand. Sein Blick wirkte fast nüchtern.
Die Tante antwortete nicht, sie wiegte Marie ohne Unterlass und summte ein Schlummerlied.
„Sei doch froh, dass es der Krüppel war. Ich hab dir doch schon ein Neues gemacht. Ich mach dir noch eins, wenn du willst …“, stammelte Maffrit.
Anna stieg ein Würgen in der Kehle hoch.
„Verschwinde! Geh weg, geh endlich weg!“, kreischte Evphemia.
Maffrit grunzte, spannte den Gaul vor den Wagen, trat den letzten Keil beiseite und sprang auf den Bock. Mit der Gerte schlug er so hart auf das Pferd ein, dass es sich aus dem Stand in die Riemen legte und das Fuhrwerk mit einem Ruck anzog. Die Krähen stoben erneut auf. Maffrit war fort, erst einmal …
    Anna sah den Krähen nach. Dann suchte sie die Bündel zusammen und hob den Hund hoch. Evphemia beobachtete sie vom Boden aus, ohne ein Wort zu sagen. Es war Zeit zu gehen.
 
    Der Frühlingssturm zerrte an ihrem Kleid und wirbelte Schwaden von Straßenstaub auf. Anna wusste nicht, wie lange sie gegangen war. Gern wäre sie noch einmal nach Jever zurückgekehrt und hätte nach Spuren ihres Vaters gesucht. Nach all der Zeit suchte man sie in Jever sicherlich nicht mehr.
Doch tief in ihrem Innern wusste sie, dass Wulf sie gefunden hätte, wäre er noch am Leben gewesen. Und so hatte sie sich an der Kreuzung links gehalten, nach Süden.
Sie schritt am Wegrand entlang und hielt sich abseits der anderen Reisenden. Familien und Fuhrwerke, Kinder und Alte, alle waren sie unterwegs und genossen den stürmischen Frühlingssonntag. Das fröhliche Rufen hallte in Annas Ohren schlimmer nach als der Lärm der Krähen am Mittag. Sie sehnte sich nach einem Platz, dunkler noch als Maries Kammer. Bär strampelte mit den Beinchen, um abgesetzt zu werden. Aber sie wollte den Hund auf dieser Straße nicht allein laufen lassen. Was, wenn er ihr auch noch abhandenkam? Sie hielt ihn weiter fest umklammert, doch als er sich mit der verletzten Pfote in ihrem Ärmel verhakte und laut jaulte, gab sie nach. Sie löste die letzte Lederschnur von ihrem Packen, befestigte sie an Bärs Halsband und ließ ihn zu Boden.
Es dämmerte bereits, und sie wusste nicht, wo sie die Nacht verbringen sollte. Die Anzahl der Fuhrwerke und Menschen nahm immer mehr ab, es wurde empfindlich kalt. Wen ein wärmendes Feuer erwartete, der eilte schnellen Schrittes nach Hause. Anna hatte sich nichts zu essen besorgt. Sie war an einigen Ständen vorbeigekommen, aber beim Gedanken an Marie war ihr die Kehle eng geworden. Und wieder liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Den Hund an der Leine, setzte sie ziellos Fuß vor Fuß.
Schließlich ließen sich die dämmergrauen Büsche kaum noch vom Weg unterscheiden; es war dunkel. Eine Decke hatte sie nicht, und so hockte Anna sich abseits vom Weg unter einen Baum und zog den Hund und die Bündel eng an den Körper, um sich zu wärmen.
Hatte sie vor Kurzem die Dunkelheit noch herbeigesehnt, bekam sie es nun mit der Angst zu tun. Was, wenn sich wie damals Räuber anschlichen, als sie mit Johann unterwegs gewesen war? Es knackte im Gebüsch. Anna legte die Bündel auf den Boden und zog den Stock aus der Schlaufe. Doch sosehr sie auch horchte, es geschah nichts weiter. Den Hund auf dem Schoß und den Stock fest in der Hand, schlief sie schließlich im Sitzen ein.
    Anna öffnete die Augen und stieß einen spitzen Schrei aus: Keine Handbreit von ihrer Nase entfernt, starrten ihr zwei blaue Augen aus einem sommersprossigen Gesicht unverwandt ins Angesicht.
    „Himmel, was …?“, schrie sie.
„Theo, hierher! Lass die Frau in Ruhe! Dieser Bengel treibt mich noch zum Wahnsinn!“
Die Stimme kam vom Wegrand. Der Knirps streckte Anna die Zunge heraus, machte ihr eine lange Nase und flitzte davon.
Es war helllichter Tag. Die Straße lag nicht so weit entfernt von ihrem Rastplatz, wie sie beim Stolpern durchs Unterholz am Abend zuvor vermutet hatte. Es herrschte schon Hochbetrieb: Fuhrwerke, Tiere, Knechte und Mägde zogen an ihr vorbei. Anna erhob sich und steckte den Stock wieder in die Schlaufe. Sie raffte ihre Bündel, strich das Kleid glatt und überprüfte Bärs Halsband. Sie streckte sich - der Rücken schmerzte, und die Beine waren ganz steif und kalt. Ein Stück den Weg

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