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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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zurückfallen.
Anna wartete, bis der erste Schnarcher zu hören war. Dann erst schob sie die Pranke angeekelt beiseite. Zumindest für diese Nacht blieb ihr Geheimnis bewahrt. Trotzdem fand sie keinen Schlaf.
     

Marie
     
    Anna schlüpfte in den halb offenen Stall. Hier klang das Krächzen der Saatkrähen, die schon beim Kirchgang in Scharen über den Köpfen der Gläubigen hinweggestoben waren, ein wenig gedämpfter. Auf leisen Sohlen huschte sie in die Ecke mit dem Wagenrad. Eile war geboten, es konnte nicht mehr lange dauern, bis Maffrit und die anderen aus der Kirche kamen. Unter dem Vorwand, Wasser für die Suppe holen zu wollen, hatte Anna mit Marie vorausgehen dürfen. Sie hatten morgens keine Gelegenheit gehabt, nach dem kleinen Hund zu sehen.
    Doch Bärs Platz war leer. Das Lederband lag wie verloren im Stroh. Bei genauerem Hinsehen entdeckte Anna winzige Bissspuren. Offenbar hatte der Welpe sich losgemacht.
Sie musste ihn suchen. Wenn Maffrit nach Hause käme und ihn hier fände, dann … Sie trat aus dem Stall hinaus, spähte zur Hausecke hinüber und atmete erleichtert auf. Noch war niemand zu sehen. Maffrits Fuhrwerk stand neben dem Stall bereit. Erst würde er essen und dann zum Würfeln und Saufen in die Stadt fahren, wie jeden Sonntag. Wenigstens hatten sie nachmittags Ruhe vor ihm. Anna ging in die Knie, was mit dem Stock in der frisch genähten Schlaufe zwischen den Rockfalten gar nicht so einfach war, und sah unter dem Fuhrwerk nach. Dort versteckte sich der Welpe auch nicht, aber zwei Haltekeile befanden sich nicht an der richtigen Stelle. Anna stockte der Atem - das war mehr als gefährlich! Wenn sich nur einer der Keile gänzlich löste, konnte das schwere Fuhrwerk auf dem abschüssigen Hof ins Rollen geraten. Es besaß keine Bremsen, und ohne Fuhrmann und Pferd war es kaum zu halten. Obwohl die Zeit drängte, drückte Anna die schweren Keile nacheinander keuchend an die richtige Stelle, wie sie es Vors schon oft hatte tun sehen.
Anna kehrte zum Stall zurück. War Bär unter die Bodenbretter gekrochen? Sie lauschte. Aber außer dem unruhigen Schnauben der beiden Gäule waren nur die vermaledeiten Krähen zu hören. Vielleicht hatte sich der Hund im Haus verkrochen. Die Tür stand wie immer zum Lüften offen.
„Marie!“, rief Anna in die Diele hinein.
„Ich bin hier“, kam es aus der Kammer zurück. Anna folgte der Stimme.
Dann ging alles ganz schnell. Die Tür wurde aufgestoßen, und Maffrit polterte ins Haus. Marie trat aus der Kammer und ging auf Anna zu. Der Hund schoss aus einer Ecke hervor, hoppelte erstaunlich schnell durch die Diele und verschwand in der Wohnstube.
    Maffrit starrte auf den Hund, glotzte Anna an und brüllte los. „Wer hat den Drecksköter hier reingelassen?“ Dann stürzte er in die Stube.
    „Bleib!“ , rief Anna Marie zu und stürmte hinter Maffrit her. Der kauerte auf dem Boden vor der Wäschetruhe und langte mit dem Arm in den Spalt zwischen Boden und Truhe.
„Maffrit, lass dir doch erklären …“, versuchte Anna ihn zu besänftigen, doch er unterbrach sie sogleich und schrie sie an.
„Hast du das Vieh hier hereingeholt? Ich hasse Hunde! Raus mit dem Köter, und um dich kümmere ich mich danach …“
Da hatte er den Welpen offenbar zu fassen bekommen, denn er zerrte wie wild, und ein verzweifeltes Jaulen drang aus dem Spalt unter der Truhe hervor.
„Das kann doch … hängt die Töle fest, oder was?“
Ein letzter Ruck, und der Hund rutschte aus dem Spalt heraus. Schwankend erhob sich Maffrit.
„Sieh dir an, was ich mit ihm mache, damit du nicht noch einmal auf den Gedanken kommst …“
„Nein!“ Mit einem spitzen Schrei stürzte Marie in die Stube. „Tu ihm nichts, er frisst nicht viel, bitte!“, flehte sie und warf sich vor Maffrits Beine.
„Du steckst also auch mit drin, hätte ich mir denken können.“ Mit aller Kraft trat er zu, und bevor Anna handeln konnte, flog die Blinde an die Wand, als wäre sie so leicht wie ihr Brüderchen Ivo. Doch Marie weinte nicht.
    Sie rappelte sich auf und schrie ihren Vater an . „Tu ihm nichts, er hat dir nichts getan. Sonst kommst du in die Hölle!“
Maffrit schleuderte den Hund zu Boden und ging drohend auf Marie zu. Leise wimmernd tappte das Hündchen in eine Ecke, wo es sich die Pfote leckte.
Kalter Zorn packte Anna. Einmal musste Schluss sein mit der täglichen Gewalt! Sie tastete nach dem Stock und löste ihn aus der Schlaufe. Mit erhobenem Arm schob sie sich zwischen Marie und

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