Die Gewandschneiderin (German Edition)
gebräuntes Gesicht spähte um die Plane herum.
„Na, wird´s bald? Dann komm aber auch!“, rief der Korbflechter.
Anna rannte zum Bock, die Bündel und den Hund auf dem Arm.
„Wie meinst du das?“, fragte sie stirnrunzelnd.
„Milte sagte mir, du wolltest mich fragen. Aber als du nicht gekommen bist …“ Er hob die Schultern.
Mil te? Damit war sicherlich Hildes Mutter gemeint. Umso besser, wenn sie schon gefragt hatte …
„Nun musst du aber rasch fragen, sonst fahre ich weiter“, sagte der Korbflechter ernst.
„Warum muss ich fragen, wenn du schon weißt, was ich möchte?“, fragte Anna verdutzt.
„Ein allein reisender Mann sollte kein Mädchen zum Mitfahren einladen, es sei denn, sie bittet darum, oder?“
Der Korbflechter zwinkerte, und Anna fasste sich ein Herz. „Darf ich mitfahren, nach Süden?“, fragte sie höflich.
„Ja, aber ich erwarte eine Gegenleistung.“ Er rutschte auf dem Bock zur Seite, um Platz für Anna zu schaffen.
„Was denn?“, fragte sie, und ein mulmiges Gefühl beschlich sie.
Der Korbflechter drehte beide Hände, die die Zügel hielten, und zeigte seine Finger. Die Haut war verhornt, und die Gelenke schienen stark geschwollen.
„Bis vor Kurzem habe ich meine Kleidung selbst instand gehalten, aber inzwischen kann ich die Nadel nicht mehr halten.“ Er lächelte entschuldigend, als sei es ihm peinlich, nicht allein zurechtzukommen. „Es gibt einiges zu flicken. Auf der Fahrt ist´s wohl zu holperig, aber du könntest meine Wäsche abends nähen.“
Die Finger sahen wirklich schlimm aus, er schien die Wahrheit zu sagen.
„Hast du Garn?“, fragte sie. Er nickte.
„Gut.“ Sie nickte zurück. „Aber der Hund darf vorn bei mir bleiben.“
„Einverstanden.“ Der schmächtige Mann klopfte auf den Holzsitz. „Nun komm, ich muss wirklich weiter, sonst ist der Markt in Holdorf schon vorbei, wenn ich ankomme. Und die Keramiken, die sich so gut verkaufen, krieg ich nur dort. Weiß der Himmel, wie die den Rand machen, die Waren verkaufen sich jedenfalls wie warme Pasteten.“
Er schnalzte , und das Pferd trabte an.
Eine Meile nach der anderen legte der Gaul zwischen Anna und Evphemia, zwischen Anna und Maffrit. Sie hätte sich freuen sollen, gesättigt zu sein und auf einem Wagen zu fahren. Aber sie war traurig. Marie hätte die Puppe gemocht und sich den Speck schmecken lassen. Und so rollten Anna immer dann, wenn der Wagen durch eine besonders tiefe Furche rumpelte, heiße Tränen über die Wangen. Der Korbflechter beobachtete sie, aber er schwieg. Anna war ihm dankbar dafür.
Etwas knallte gegen Annas Hinterkopf.
„He, was soll das?“, rief sie halb erschrocken, halb wütend. Obwohl der Korbflechter während der ganzen Fahrt keine Annäherungsversuche gemacht hatte, war sie doch ständig auf der Hut gewesen. Mit einem Angriff aus dieser Richtung hatte sie allerdings nicht gerechnet. Sie hatten gerade eine üble Wegstrecke zurückgelegt. Der Wagen war durch tiefe Löcher gerumpelt, in denen er erst versank, bevor er ein wenig abhob und sich schließlich nach links legte. Dieser seltsame Tanz hatte offenbar einen der großen Körbe zur Hälfte losgerissen. Nun schwang er an einem der beiden Riemen hin und her und hatte Annas Kopf in Mitleidenschaft gezogen. Verdutzt rieb sie sich die schmerzende Stelle.
„Tut mir leid, der muss sich losgerissen haben. Für heute langt’s auch, finde ich. Wir suchen uns einen Platz für das Nachtlager. Es wird bald dunkel, und du musst noch bezahlen, stimmt’s?“, sagte der Korbflechter.
Anna antwortete nicht. Jähe Angst schnürte ihr die Kehle zu. Sie tastete nach dem Stock und atmete tief durch. Schon besser. Der Korbflechter schnalzte laut und lenkte das Gespann rechts an den Wegrand. Anna stieg vom Bock und setzte Bär vorsichtig zu Boden, wo er begeistert herumschnüffelte. Sie befanden sich auf einer leichten Anhöhe, denn nicht überall war das Land so flach wie in Friesland, das wusste Anna noch von den Reisen mit ihrem Vater. Sie blickte über das Tal hinweg. Zarter Dunst schwebte über den Bäumen und Sträuchern und verlieh ihnen etwas Verwunschenes. Die Stille wurde nur vom Ruf eines Käuzchens unterbrochen. Der Korbflechter hatte schon das Pferd ausgespannt. Die Vorderhufe zusammengehobbelt, suchte es sich sein Futter. Er sah, dass sie ihn beobachtete.
„Man muss zum Zusammenhobbeln weiche Seile nehmen und darf sie nicht zu fest binden, sonst werden die Fesseln wund, so wie bei dir …“ Er deutete
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