Die Gewandschneiderin (German Edition)
auf ihre Fersen. Knallrot und aufgerieben, waren sie wahrlich kein schöner Anblick.
Plötzlich schoss di e Rechte des Korbflechters vor. „Tankred“, sagte er.
Anna japste, erst erschrocken, dann erleichtert. Der Mann hatte recht - sie hatten einander noch nicht vorgestellt.
„Anna …“, murmelte sie und ergriff die ausgestreckte Hand. Die Schwielen erinnerten sie an den Preis für die Fahrt.
„Was ist mit der Nähwäsche?“, fragte sie.
„Willst du dich nicht erst ausruhen?“, fragte Tankred.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich stehe nicht gern bei jemandem in der Kreide. Noch ist das Licht gut, da fange ich lieber gleich mit der Arbeit an.“
Tankred nickte gleichmütig, stieg auf den Bock und kehrte mit einem riesigen Korb voller Weißzeug zurück.
„Da hat sich einiges gesammelt.“ Er schnäuzte sich. „Das ist natürlich nicht alles auf einmal zu schaffen, aber wenn du zwei, drei Teile fertig bekommst, ist mir schon geholfen.“
„Das Garn?“, fragte sie.
„Oh, warte!“
Noch einmal verschwand er unter der Plane des hohen Aufbaus, der mit Körben und Kisten vollgestopft war. Nach einigem Gepolter tauchte er mit fröhlichem Gesicht und einer Garnspule wieder auf. Anna hockte sich ins Gras, den Korb neben sich, und fing an zu nähen, während Tankred den Wegesrand nach Holz für das Feuer absuchte.
Bär legte sich auf Annas Füße und schlief sofort ein. Sie quälte sich mit der Rechten und schimpfte leise vor sich hin, während sich der Korbflechter mit dem feuchten Holz abmühte. Immer wieder musste er sein Zundertäschchen zücken, bis endlich die ersten qualmenden Flämmchen aus den Zweigen hervorzüngelten. Daraufhin stellte er ein eisernes Dreibein auf, trug das Kochgeschirr herbei, hängte den Kessel ein, setzte Wasser auf und putzte auf dem Wagenbock Gemüse. Die Zutaten köchelten schon im Topf, als Anna das erste Betttuch ausgebessert hatte. Sie spähte noch einmal zu Tankred hinüber, doch der rührte gedankenverloren in einer großen Holzschüssel.
Sei´s drum, dachte Anna. Sie wandte sich zur Seite und nahm die Nadel in die Linke. Sogleich ging alles viel schneller vonstatten, und Stich um Stich reihte sich flott aneinander. Als der Korbflechter schließlich nach ihr rief, hatte Anna bereits die Hälfte des Wäscheberges sauber geflickt. Sie nahm den Korb mit zum Feuer, die ausgebesserten Stücke lagen ordentlich gefaltet obenauf.
Tankred warf einen Blick auf den Stapel , und seine Miene hellte sich auf. „Danke. Magst du etwas essen?“
„Gern!“ Anna wollte die lederne Spange im Haar neu feststecken, doch die Hände waren vom langen Nähen so steif und verkrampft, dass sie den Holzdorn nicht durch die Löcher bekam.
„Soll ich …“ Tankred trat hinter Anna und hatte schon die Hand an ihrem Haar, bevor sie antworten konnte. Wie vom Blitz getroffen sprang sie auf. „Finger weg!“, fauchte sie.
Er hob die Hände. „Schon gut! Deine Finger sind sicher steif vom Nähen, und ich wollte dir helfen. Aber ich seh schon, du kommst allein zurecht …“
In einer Hand hielt Anna die Spange, die andere lag auf dem Stockgriff zwischen den Falten ihres Rockes. Sie blies sich das Haar aus der Stirn. Tankred trat ans Feuer, füllte eine Schale mit Suppe und kam wieder auf sie zu. Anna spannte alle Glieder an, aber ihr Gastgeber stellte die Schüssel auf halbem Weg auf dem Boden ab. Sie rang mit sich. Sollte sie sich nähern, um an die Suppe zu gelangen oder lieber hungrig bleiben?
Der kleine Hund jaulte und wollte offenbar auch gefüttert werden. Anna seufzte, legte die Haarspange neben sich und schritt, die Hand am Stock, auf die Schale zu. Dabei ließ sie den Korbmacher nicht aus den Augen. Doch der kümmerte sich nicht um sie. Seelenruhig tunkte er sein Brot in die Suppe und kaute. Es half nichts, Anna ließ den Stock los und hob die Schüssel vom Boden auf. Gern hätte sie auch etwas von dem Brot gehabt, aber der Kanten lag neben Tankred, und sie mochte ihn nicht bitten. Schnell huschte sie auf ihren Platz zurück.
Die Dämmerung kroch über den Lagerplatz, und die Flammen des Kochfeuers vermochten die drohende Dunkelheit nicht zu vertreiben.
Mit spitzen Fingern fischte Anna kleine Brocken aus der Suppenschale und fütterte den Hund. Der wedelte mit dem Schwänzchen und schluckte gierig.
Erst als der Welpe satt war, schlürfte Anna die warme Brühe aus der Schale. Ihr war inzwischen kalt geworden. Sie kannte das schon - wenn sie sich beim Nähen kaum regte, kroch ihr
Weitere Kostenlose Bücher