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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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waren sie so fein geschliffen und poliert, dass sie glänzten. Anna schluckte. Welche Freude musste es sein, mit diesen Nadeln zu nähen!
„Nun, da bist du ja, Kind.“
    Theodora saß ganz allein an einem gewaltigen Tisch, dessen Platte ebenfalls poliert war. Auf ihrem Schoß bauschte sich roter Stoff wie eine riesige Blüte.
„Ich habe schon gehört, du sollst dein Gewand flicken. Mir
soll´s recht sein, so habe ich ein wenig Gesellschaft. Setz dich dorthin, ich gebe dir eine Nadel und Garn.“
Da erst bemerkte Anna die vielen Schemel, die um den großen Tisch herumstanden. Hier konnten sicher zehn oder mehr Schwestern gleichzeitig nähen. Sie nahm Theodoras Schal ab und legte ihn auf den Tisch.
„Danke für das Verleihen.“
„Gern geschehen“, antwortete Theodora.
Vorsichtig setzte Anna sich auf den Rand eines Schemels, den Blick immer noch auf die so wunderbar bestückten Regale gerichtet. Die Garnrollen! Sie hatte nicht gewusst, dass es so viele Farben gab.
„Welche Farbe hat dein Kleid?“, fragte Theodora.
Widerwillig löste Anna den Blick von den leuchtenden Stoffballen und schluckte. Sie hob das Kleid nicht hoch, damit Theodora nicht sah, wie schäbig es war.
„Grau.“
„Mittel, hell oder dunkel?“, fragte die Nonne.
„Dunkel, nein, mittel, glaube ich …“
„Zeig her, Kind! Wenn wir nicht das richtige Garn wählen, fällt die Naht später ins Auge.“
Langsam zog Anna ihr Gewand unter dem Tisch hervor und schob es neben den roten Stoff, sorgsam darauf bedacht, ihn nicht zu berühren, als könne das Grau den teuren Stoff verderben.
„Herr im Himmel, das ist ja viel zu dünn! Bist du damit den ganzen Winter herumgelaufen?“, fragte Theodora.
„Ich friere nicht so leicht“, gab Anna zurück.
Die Ordensfrau hatte das Bündelchen auseinandergefaltet und zog die Stirn in Falten, aber sie sagte nichts mehr über den Zustand des Kleides. Anna war erleichtert, wusste sie doch selbst, wie schäbig der zerlumpte Fetzen wirkte.
„Nun, das wird einige Ellen an Garn brauchen, um es wieder halbwegs zusammenzuflicken. Besser wären ja Flicken. Hast du noch ein altes Kleidungsstück, das wir dazu auftrennen können?“
Woher sollte sie ein weiteres Gewand haben? Bei Maffrit war alles getragen worden, bis es einem vom Leib fiel. Sie wollte schon den Kopf schütteln, als ihr etwas in den Sinn kam.
„Ich habe guten Stoff, in Blau. Er ist für ein neues Gewand gedacht.“
“Warum nähst du dann nichts Neues?“, hakte Theodora nach.
Das Gefühl, um die Mitte herum leichter geworden zu sein, das sie nach dem Aufwachen am Fluss gehabt hatte, überkam Anna mit aller Macht. Er hatte ihr nicht nur das Geld genommen, er hatte … Nur nicht darüber nachdenken! Sie musste sich um ihre Kleidung kümmern.
„Ich habe kein Geld mehr für Garn, der Stoff war teuer. Außerdem hat Ragnhild mir nur erlaubt zu bleiben, bis das Kleid geflickt ist.“
„Ragnhild. Die würde gern alles bestimmen.“ Die Nonne schnaubte. „Aber noch hat die ehrwürdige Mutter hier das Sagen, und ich kenne sie gut genug, um eines zu wissen: Sie hat dir Garn zum Flicken zugesagt, sie wird dir auch das Garn für ein Kleid geben, glaub mir. Selbst wenn du das da flickst” - sie zeigte auf den grauen Haufen auf dem Tisch -, “wird das Ergebnis bestenfalls scheußlich sein.“
Annas Herz tat einen Hüpfer. Die Vorstellung, das neue Kleid zu nähen und zu tragen, half gegen schlechte Gedanken und machte sie froh. Und länger im Kloster bleiben zu können, war ebenfalls eine wunderbare Aussicht. Doch würde die ehrwürdige Mutter zustimmen? Anna zog das alte Kleid zu sich herüber und knetete es mit feuchten Händen.
„Müssen wir sie nicht erst fragen?“, gab sie zu bedenken.
„Das müssen wir.“ Theodora zwinkerte ihr zu. „Bring den Stoff her und sei unbesorgt. Sie wird es schon erlauben. Du dauerst sie, dessen bin ich sicher.“
Wie konnte Theodora nur so vom Großmut der ehrwürdigen Mutter überzeugt sein? Sie saß doch selbst arg in der Klemme. Anna griff sich an die Stirn. Theodora überschlug sich geradezu vor Freundlichkeit, hatte sie gepflegt und gefüttert, und wie dankte sie es ihr? Sie hatte die missliche Lage der Nonne völlig vergessen. Jemand musste ihr helfen.
„Theodora, darf ich etwas fragen?“
„Was denn, Kind?“
„Warum nähst du das Gewand für den Abt nicht endlich fertig?“
Bekümmert strich Theodora den Stoff auf ihrem Schoß glatt, um ihn gleich darauf wieder zu raffen. Anna

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