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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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dachte schon, sie werde nicht antworten, aber dann lösten sich die Worte doch von den Lippen.
„Der Abt hat in seiner Großzügigkeit auf einen Einstand verzichtet, wenn ich Vorsteherin der Nähstube werde. Er hat gefragt, ob meine Arbeit die übliche Kunst eines Weibes deutlich übersteige, da habe ich Ja gesagt. Ich konnte doch nicht wissen, dass er das Schneidern meint. Meine Stickarbeiten“ – jetzt wurde ihre Stimme eifrig - „sind ganz außerordentlich. Also, dank Gottes Güte.“ Sie bekreuzigte sich.
„Heißt das, du kannst nicht nähen?“, fragte Anna entsetzt.
„Dummchen, natürlich kann ich nähen. Einige der besten Zierstiche am Altartuch sind von mir. Aber ich kann nicht schneidern. Ich musste das nie tun, wir waren immer knapp, und meine Mutter ließ mich die Stoffe nicht zerschneiden, damit nichts vergeudet wurde.“
Anna erinnerte sich noch gut an ihre eigenen ersten Versuche. Glücklicherweise hatte ihr Vater Humor und genug Geld gehabt, sonst hätte sie sicher bei dem enormen Verschnitt die Rute zu spüren bekommen. Inzwischen war sie so geübt, dass sie keine Bedenken mehr zu haben brauchte. Doch Theodora war noch nicht fertig. Einmal gelöst, konnte sie ihre Zunge nicht mehr im Zaum halten und wollte die ganze verfahrene Lage darstellen.
„Ich habe nicht einmal seine Maße, nicht eine Schnur. Ein altes Gewand hat er mir dagelassen, das ihm gut passt.“ Sie deutete auf einen sauber gefalteten weiß-roten Haufen am Ende des langen Tisches.
„Aber er braucht es wieder. Wenn ich also den Stoff nicht an den Nähkanten abschneiden kann, wie soll ich dann die Umrisse nachzeichnen? Und der Stoff ist so teuer, dass allein damit mein Einstand hätte bezahlt werden können. Was, wenn ich mich verschneide?“ Sie senkte den Kopf und zupfte ihre Tracht gerade. „Hethel wollte beim Zuschneiden helfen, aber Ragnhild hat ihr schlichtweg verboten, die Nähstube zu betreten. Es ist ganz und gar hoffnungslos. Nun, ich werde beten, Kindchen. Das hat noch nie geschadet.“
Anna ging das Herz auf. Die Arme! Wie konnte sie ihr nur helfen? Aber Ragnhild passte sicher auf wie ein Habicht, dass Hethel ihr nicht beistehen konnte. Anna betrachtete den Stoffballen auf Theodoras Schoß. Hoffentlich erhörte Gott ihre Gebete, sonst stand die freundliche Nonne bald genauso auf der Straße wie sie selbst. Trotz des warmen Feuers fröstelte sie.
„Leg dir doch den Schal wieder um, Kind. Weißt du was? Du darfst ihn behalten, ich habe noch zwei andere.“
Anna schluckte. Jetzt kamen ihr doch tatsächlich die Tränen. Wie lange war es her, dass ihr jemand etwas geschenkt hatte? Und diese Frau sollte als nutzlos aus dem Kloster geworfen werden? Das durfte nicht geschehen. In Anna flackerte ein Gedanke auf, und sie hob trotzig das Kinn.
„Theodora, ich glaube, wir haben einen Weg gefunden …“
Die Ordensfrau schaute sie mit großen Augen an.
„Welchen denn?“
„Warte nur ab, morgen!“
    Niemand im Kloster wunderte sich, dass Anna so viel Zeit in der Nähstube verbrachte. Die ehrwürdige Mutter hatte auf Theodoras Fürsprache hin ein Einsehen gehabt und Anna Garn und die nötige Zeit zugestanden. Ragnhild war sogar bei der Unterredung zugegen gewesen, aber ihrer verächtlichen Miene war anzusehen gewesen, dass sie Anna kaum verdächtigte, Theodora unerlaubte Hilfe zu leisten. Am Morgen nach der Frühmesse und dem Morgenmahl im Saal suchte Anna zusammen mit Theodora sogleich die Nähstube auf.
Im Ärmel hatte sie das Pergament ihres Vaters – vielleicht würde die Nonne es ihr nach getaner Arbeit vorlesen? Die Tür war noch nicht ganz hinter Anna geschlossen, da drang Theodora schon auf sie ein.
„Was hast du dir überlegt?“
„ Ich kann schneidern.“
„Nein!“
„Doch! Ich hatte noch keine richtige Ausbildung, aber ich bin Näherin. Mein größter Wunsch war es, Gewandschneiderin zu werden, ich hatte genug Silber von meinem Vater bekommen um einen Lehrmeister zu finden. Doch dann ist … am Fluss hat …“ Anna wusste nicht mehr weiter.
„Er hat dir auch dein Lehrgeld gestohlen?“, fragte Theodora mitfühlend.
Anna nickte nur. Sie wischte einige Flusen vom Tisch.
„Jedenfalls habe ich schon häufig zugeschnitten. Ich weiß, wie es gemacht wird, und es gibt kaum Verschnitt. Wenn du also möchtest …“
So schnell wie Theodoras Augen aufgeleuchtet waren, erlosch der hoffnungsfrohe Glanz schon wieder.
„Ich glaube, es ist nicht recht, wenn ich tatenlos zusehe, wie du die Arbeit

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