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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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erledigst, die ich nicht fertigbringe. Wenn ich unnütz bin, bin ich hier vielleicht tatsächlich nicht an dem Platz, den Gott für mich vorsieht.“
„Oder er schickt dir mich, damit du bleiben kannst! Du musst doch nicht zusehen, dreh dich mit dem Rücken zu mir!“
Theodora griff nach dem teuren Scharlach und schob ihn halb über den Tisch, hielt dann aber inne.
„Und wenn du dich doch verschneidest?“
Anna verstand den Einwand nur zu gut. Sie hatte Ragnhilds abfälligen Blick auf ihre Nadel nicht vergessen. Und nun sollte sie einen so teuren Stoff bearbeiten, ohne dass sie eine Probe ihres Könnens abgegeben hatte?
„Der Stoff für die Mitra ist nicht so kostbar, oder?“, fragte sie.
Theodora griff nach dem weißen und lehmfarbenen Stoff, der schon unter der alten, recht abgenutzten zweizackigen Kopfbedeckung des Abtes bereitlag, und schüttelte den Kopf.
„Ein guter Stoff, zweifelsohne, aber er wird erst durch meine Stickkünste wertvoll.“ Sie zwinkerte Anna zu. „So machen wir es - du schneidest den Stoff für die Mitra, und wenn das gelingt, dann …“ Theodora berührte den roten Stoffberg.
Anna war erleichtert. „Und wenn die Mitra genäht ist, kannst du sie schön besticken, während ich mich um das Gewand kümmere. Dann siehst du auch nicht tatenlos zu.“
Theodora seufzte erleichtert, doch gleich darauf fiel ihr wieder etwas ein, und sie zog die Stirn in tiefe Falten.
„Und wenn jemand kommt?“
„Ich lege meinen Stoff gleich daneben auf den Tisch. Dann kann ich die Teile schnell auswechseln, während du dich umdrehst und die Besucherin hereinbittest.“
„Hm.“ Theodoras Stirn glättete sich sichtbar. „Wer weiß schon, was Gottes Wille ist? Vielleicht hat er dich wirklich geschickt, damit ich ihm hier weiter dienen kann.“
„Ganz bestimmt.“ Anna nahm eine der polierten Scheren vom Brett und probierte sie aus. Eine solch scharfe Schere hatte sie noch nie benutzt.
„Reichst du mir den Stoff für die Mitra?“, bat Anna.
Nun, da der Entschluss gefasst war, konnte Theodora sich für die Aufgabe begeistern.
„Hier. Du schneidest, und ich fange gleich an zu nähen …“ Sie schob die alte Mitra und den glänzenden neuen Stoff über den Tisch. Anna legte ihren alten Fetzen und den blauen Stoff zurecht, damit sie ihr jederzeit als Ausrede dienen konnten. Das passende Garn noch, eine Schere und eine Nadel.
„Ich fange an, dreh dich um!“ Theodora tat, wie ihr geheißen.
Anna betrachtete die Kopfbedeckung von allen Seiten, nahm Maß und murmelte vor sich hin. Sie brauchte den Hut nicht einmal aufzutrennen, sie wusste auch so, wie der Stoff geformt sein musste, um die richtige Form zu erhalten. Zwei große Stücke mit vier Ecken, die eine Spitze trugen, die Mitte würde eine Raute bilden, damit der Hut sich weit genug öffnen ließ. Außen würde sie den groben Stoff benutzen, der verschmutzte nicht so leicht und sollte sich beim Besticken nicht verziehen. Innen dann der feine Stoff, er ließ sich gewiss willig formen. Vorsichtig zeichnete Anna die Maße auf den Stoff. Als Theodora das Geräusch der schneidenden Schere hörte, zuckte sie leicht zusammen. Aber Anna war mit solchem Eifer bei der Sache, dass sie sich nicht darum kümmerte. Wenn die Nonne sah, wie gut sie gearbeitet hatte, würde sie nicht mehr zagen. Schnitt um Schnitt nahm Anna vor, maß und grübelte, schob zusammen und legte übereinander, bis sie sicher war, dass alle Stoffteile beisammen waren.
„So, du kannst hersehen.“
Zögernd drehte Theodora sich auf dem Schemel um. Als sie den zugeschnittenen Stoff sah, strahlten ihre Augen.
„Du kannst es wirklich“, flüsterte sie.
„Ich sag’s dir doch! Und nun musst du den Stoff zusammenhalten, den Filz zum Versteifen nehmen und von der anderen Seite nähen.“
Mit zittrigen Fingern suchte Theodora das richtige Garn und eine feine Nadel aus dem reichhaltigen Bestand heraus. Bevor sie sich wieder umwandte, schob sie Anna behutsam den teuren roten Scharlach zu. Anna nickte nur und beugte sich über den Tisch, um die alte Robe des Abtes zu sich heranzuziehen. Eine ganze Weile war nichts zu hören außer Annas Murmeln beim Vermessen. Langsam zog die Dämmerung in den Raum; lange würden sie nicht mehr arbeiten können - zum Zuschneiden brauchte man Licht. Doch schließlich mischte sich ein anderes Geräusch in die Stille. Der Widerhall sich nähernder Schritte. Da kam jemand!
„Theodora, rasch …“
Anna schob den angezeichneten Stoff schnell zu der

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