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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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wünschen können. Am nächsten Tag würde sie so gut arbeiten, dass Spierl sie behalten musste.
    Doch plötzlich war die frohe Stimmung wie verflogen, Anna wälzte sich auf ihrem Lager hin und her. Sorge hatte sie erfasst - Heinz lauerte ihr da draußen immer noch auf. Was, wenn sie morgen nicht schnell genug war? Was, wenn Dietrich sie bedrängte und am Nähen hinderte? Was, wenn die Stiche mit rechts für die Ansprüche des Schneiders nicht ordentlich genug ausfielen? Meister Spierl nähte tatsächlich für den Kaiser. Sie, Anna, kannte jemanden, der für den Kaiser nähen durfte. Hätte sie doch nur mit links arbeiten können! Doch das war undenkbar. Es hatte sie zweimal fast das Leben gekostet, und hier wäre es nicht anders.
    Sie hielt es nicht mehr aus. Im Schutz und in der Dunkelheit der abgeschlossenen Kammer zog sie das Kleid wieder an und schlüpfte in die Schuhe. Behutsam öffnete sie den Riegel. Leicht und lautlos glitt die Tür auf, das Haus schien wirklich noch neu zu sein, auch wenn der Gestank dem Eindruck widersprach. Auf Zehenspitzen tappte sie über den Flur und die Treppe hinab, bis sie die Nähstube erreichte.
    Die Tür stand offen, das helle Licht des vollen Mondes wies ihr den Weg. Sie setzte sich auf ihren Platz am Fenster, zog die Knie hoch und umschlang die Beine mit den Armen. Sie wollte aus dem Fenster sehen, bis ihre Gedanken sich beruhigt hätten, doch die unerledigten Arbeiten schimmerten ihr vorwurfsvoll aus dem Korb entgegen. Keiner hatte ihr verboten, nachts zu nähen. Anna nahm das erste Stück zur Hand und setzte sich so, dass sie die Tür im Blick behielt. Sie nahm die Nadel in die Rechte, spähte zur Tür, hielt inne - und stand wieder auf. Rasch den niedrigen Schemel an die Kante von Dietrichs Tisch geschoben und dann die Nadel in die Linke! So, wie der Schemel jetzt stand, waren von der Tür aus nur ihr Kopf und die Schultern zu erkennen. Das war besser. Das Garn war schnell eingefädelt, und das erste Stück war gleich eine farbige Haube. Welche Lust, etwas anderes als weiß zu nähen! Ein sanftes Taubenblau schmiegte sich lockend an ihre Finger, und wie von selbst reihte sich ein gerader kleiner Stich an den anderen. So hätte sie ewig weiterarbeiten können.
    Sie hätte nicht sagen können, wie nahe der Morgen war, wäre nicht der Mond, ihr Verbündeter, vom Himmel verschwunden. Das Licht war zu schwach zum Arbeiten, und Anna, frierend und steif, steckte die Nadel in den Filz. Sie hatte es vorhin schon bemerkt - vom Korb war der Boden zu sehen. Tatsächlich lag nur noch ein einziges Stück ganz unten - ein weißes, das sie bisher aufgehoben hatte. Sie nahm das zuletzt genähte Teil noch einmal zur Hand und überprüfte die Nähte. Sie waren gerade. Alle Sorgen waren ordentlich vernäht, die nächtlichen Ängste mit in den zweiten Korb gewandert, sie blieb beruhigt zurück. Das weiße Stück würde sie am Tag ohne Mühe fertigstellen. Sie schlich zur Tür, die Treppe hinauf - und zuckte zusammen. War da ein Geräusch? Schimmerte da ein Licht? Wer mochte um diese Zeit noch wach sein? War das nicht die Tür zu den Gemächern des Meisters? Anna lauschte und sah sich um. Doch der Flur blieb still und dunkel. Sie musste sich getäuscht haben, kein Wunder, so müde, wie sie war. Sie huschte in ihre Kammer und legte den Riegel vor. Zum Ausziehen war sie zu müde, deshalb streifte sie nur die Schuhe von den Füßen und schlüpfte unter die warme Decke. Der Korb war fast leer, die Vorgabe des Meisters für den kommenden Tag erfüllt - jetzt war es wirklich ihre Kammer.
     
    In der Nähstube sehnte Anna sich nach der Stille der Nacht zurück. Dietrich brüstete sich mit derben Abenteuern aus seinem Leben, die Jan ab und an mit höflichen Grunzern bedachte. Anna stellte sich auf beiden Ohren taub, obwohl sie wusste, dass die Prahlereien eigentlich an sie gerichtet waren. Selbst wenn Dietrich kein Widerling gewesen wäre, sondern nett wie Jan - sie ließ sich von Männern nicht mehr ablenken. Sie arbeitete endlich mit feinen Stoffen, und vielleicht durfte sie auch einmal kleinere Teile zuschneiden, wenn sie sich nicht allzu dumm anstellte und ein wenig Glück hatte. Hatte sie sich nicht auch Theodoras Vertrauen erarbeitet? Sie musste sich nur von den Männern fernhalten. Jedes Mal, wenn sie einem Mann zu nahe gekommen war, war das Unglück über sie hinweggefegt. Gott sollte keine Mühe mehr mit ihr haben, sie hatte ihre Lektion gelernt.
    Sowohl Jan als auch Dietrich hatten ihr weiteres

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