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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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den Kopf schief und nickte.
    „Aber vorsichtig, Papier ist nicht so geduldig wie Pergament.“
    Anna nahm das Papier am Rand behutsam zwischen die Finger und tastete. Wie dünn es war, und so … flauschig, wie aus tausend winzig kleinen Leinenbüscheln geformt.
    „Erstaunlich, nicht wahr? Und jetzt komm essen, sonst dreht Wiffi uns beiden den Hals um wie dem vorlauten Hahn aus der letzten Suppe.“
     
Unten
     
    Wie sie ihn hasste.
    Anna kniete am Boden und versuchte, die verstreuten Borten zusammenzuraffen, ohne Dietrich einen allzu tiefen Blick in ihren Ausschnitt zu gewähren. Natürlich hatte er die Bänder absichtlich fallen lassen. Häufig tat er so, als griffe er nach etwas, das Anna ihm anzureichen hatte, und dann, wenn sie losließ, schloss er einfach die Hand nicht. Sie biss die Zähne zusammen. Warum fiel sie immer wieder darauf herein? Die Kundin, eine aufgerüschte Zeterhenne bar jeden Farbgefühls, zeigte unerwartetes Mitgefühl.
    "Das arme Ding. Welch schlimmes Los, so ungeschickt zu sein!"
    B etont vorsichtig stieg Dietrich über Annas Arme und die Borten hinweg, schaffte es aber trotzdem, ihr mit dem Knie gegen die Schläfe zu stoßen, ohne dass die Kundin etwas mitbekam. Wie ein zu dick geratener Pfau plusterte er sich auf und fasste die Kundin am Arm.
    " Beachtet sie nicht, die Ärmste ist einfach zu nichts zu gebrauchen. Habe ich Euch schon erzählt, dass ich mit Meister Spierl nach Worms reisen und den Kaiser treffen werde?"
    "Was du nicht sagst, den Kaiser? Ich beneide ..."
    Das Geschnatter war kaum noch zu hören, so sehr rauschte es Anna in den Ohren. Dieser Widerling.
    Sie wusste nicht , wie er einige Tage zuvor aus dem oberen Stockwerk zu ihrer Kammer gelangt war. Vielleicht hatte Wiffi, zerstreut, wie sie war, den schützenden Riegel nicht vorgelegt. Gekratzt hatte er an ihrer Tür, ihr Förderung und einen Teil seines Lohnes angeboten. Anna war immer noch empört, wenn sie daran dachte. Wofür hätte sie wohl solches Geld gebraucht? Für ein gelbes Kleid, wie es die Huren trugen? Der Riegel an ihrer eigenen Tür hatte zum Glück gehalten – den vergaß sie nie vorzulegen. Aber seitdem schikanierte Dietrich sie, sooft er konnte, und Gelegenheiten gab es viele. Die Schläge des Meisters nahm er für seine Rache kalt lächelnd in Kauf. Nun, wenn die Demütigungen der Preis dafür waren, ihn auf Abstand zu halten, zahlte sie gern. Die Borten reihten sich ordentlich auf dem Zeigetisch, sie konnte gehen. Anna richtete sich auf und hielt die Tränen zurück, bis sie den Verkaufsraum verlassen hatte.
    Jan war ihr am l iebsten. Wiffi roch ganz furchtbar, und der Meister machte ihr Angst - was, wenn er sie hinauswarf? Und dann die Rute. Noch hatte Anna sie nicht zu spüren bekommen, sie war auch immer auf der Hut. Aber von Jan hatte sie nichts zu befürchten. Er hatte nicht ein einziges Mal versucht, sie anzufassen, oder ihr in den Ausschnitt gestarrt. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als mit nach Worms zu reisen und den Kaiser zu sehen, das hatte er ihr gestanden. Wie sollte sie ihm nur beibringen, dass der Meister sich für Dietrich entschieden hatte? Anna seufzte.
    "Was ist mit dir?" Jan hob den Blick von seiner Arbeit.
    "Nichts", antwortete Anna. Jetzt log sie ihn auch noch an.
    "Ich merk doch, dass du was hast."
    "Dietrich hat mich wieder vorgeführt."
    Jan gab sich nicht zufrieden. Er legte seine Arbeit auf den Tisch. Es gab so viele Arbeitsgänge, die keine Störung vertrugen. Warum musste er ausgerechnet heften? Hätte er gerade geschnitten, hätte er sich eine Ablenkung wie diese nicht erlauben können, ohne dass der Stoff verrutscht wäre. Aber so würde er nicht locker lassen.
    Sie legte ergeben das Nähzeug aus der Hand.
    "Also?", bohrte er.
    "Ich ... es tut mir leid, das mit Worms. Hat der Meister dir schon gesagt, dass Dietrich ihn begleitet? Der hat es der Müllersfrau erzählt."
    Anna hielt den Blick gesenkt; sie wollte nicht so offensichtlich Zeugin von Jans Schmerz werden. Doch der Schneidergeselle lachte. Er lachte wirklich.
    "Ich habe vor wenigen Augenblicken mit dem Meister gesprochen. Er will uns damit überraschen , wie er seine Begleitung auswählt. Ein Wettkampf oder so etwas. Also, wenn Dietrich den nicht gerade eben gewonnen hat, steht noch nichts fest."
    "Aber wieso ..."
    "Er ist ein Angeber, Anna, hast du das noch nicht bemerkt? Er hat gelogen, um gut dazustehen.“ Jan setzte sich auf seinen Platz und nahm die Heftarbeit wieder hoch, bevor er fortfuhr. "Ich

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