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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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ganz auf, sodass das Zwielicht aus dem Flur in die Kammer fiel. Rechts und links quollen Stoffreste aus deckenhohen Regalen, und Körbchen mit Kurzwaren standen auf dem Boden. Es war eng und roch muffig, aber wenn sie die Körbe wegräumte, reichte der Platz auf dem Boden, um sich lang auszustrecken. Und der Verschlag wies einen entscheidenden Vorteil auf: Die Tür hatte innen einen Riegel.
    „Kommst du endlich?“ , nörgelte Wiffi. Prustend und jammernd wuchtete sie sich die Stufen in den ersten Stock hinab. Vor der letzten unbekannten Tür auf dem Gang, gleich am Fuß der Treppe, hielt sie inne.
    "Schneiderstube. Nachtmahl nach dem Abendläuten. Aber fleißig sein, sonst streicht er das Brot zur Suppe."
    Bevor Anna nicken konnte, war Wiffi schon in Richtung Küche davongewatschelt. Anna seufzte. Inzwischen fror sie so sehr, dass sie der Magd gern in die Küche gefolgt wäre. Sie unterdrückte einen Schauder und pochte stattdessen an der Tür zur Schneiderstube.
    "Ja?"
    Mit klopfendem Herzen trat Anna über die Schwelle. Endlich am Ziel! Sie durfte zwar nur als Näherin arbeiten, dafür aber wirklich und wahrhaftig in einer Gewandschneiderei.
    Es war kalt in der großen Stube, aber doch ein wenig wärmer als draußen auf dem Gang. Obwohl hier drei ausgewachsene Männer arbeiteten, wirkte der Raum mit seinen vielen Stoffen, Garnrollen und Schneiderwerkzeugen ausgesprochen freundlich. Durch die gleichen hohen Fenster mit den zwei Bogen und den gläsernen Scheiben wie im Besuchersaal fielen helle Sonnenstrahlen herein, die vorwitzig über Falten und Nähte huschten und den Raum in beispiellose Helligkeit tauchten.
    Zur Linken erstreckte sich ein Schneidertisch fast bis zum Fenster, der dem im Kloster an Größe in nichts nachstand. Darauf hockte Meister Spierl mit untergeschlagenen Beinen und hielt prüfend eine Naht gegen das Licht.
    "Da bist du ja. Komm her !", rief er, als er Anna sah, legte die Arbeit beiseite, zog die Rute aus dem Gürtel und rutschte mit bloßen Füßen zum Rand des Tisches. Anna trat näher, nahe genug, um zu sehen, dass die großen Zehen des Schneiders hochrot verfärbt und geschwollen waren. Behutsam schob er die Füße in seine Schlappen. Obwohl sie doppelt so lang und fast so breit waren wie seine Füße, zuckte er zusammen.
    „Komm, es gibt viel zu tun. Wenn du schnell und ordentlich arbeitest, behalte ich dich bis zum Sommer. Wenn nicht ...“
    Er beendete den Satz nicht, sondern humpelte um den kleineren Zuschneidetisch mitten im Raum herum. Weiter rechts standen zwei Tische, ordentlich zum Licht hin ausgerichtet und aufgeräumt. An dem hinteren, ganz in der Ecke, saß ein junger Bursche, der der Händlerin Hannah wie aus dem Gesicht geschnitten war. Der Mann am vorderen Tisch hatte sofort seine Arbeit sinken lassen und begaffte Anna von oben bis unten, als wäre sie ein neuer Stoffballen. Sie schüttelte sich innerlich und wandte sich wieder dem Meister zu. Der deutete nacheinander mit der Rute auf die beiden Gesellen.
    „Hinten sitzt Jan, vorn Dietrich. Das ist Anna. Sie näht für uns – probeweise.“
    Jan grüßte höflich. Wenn er sprach, war er seiner Mutter noch ähnlicher.
    Dietrich zog die Mundwinkel nach unten. „Wurde aber auch Zeit. Ich bin es gründlich leid, immer nur niedere Arbeit zu verrichten.“
    „Selbst schuld, Rotzlöffel!“ In nerhalb eines Augenblickes war Meister Spierl so wütend geworden, dass ihm die Haare zu Berge standen. Drohend fuchtelte er mit der Rute vor Dietrichs aufgedunsenem Gesicht herum.
    „Wenn du der alten Näherin nicht nachgestellt hättest ...“
    Anna fuhr zusammen und spürte, wie sie erbleichte. Dietrich grinste selbstgefällig. Meister Spierl rang empört nach Luft und hieb Dietrich die Rute auf Schultern und Arme, bis ihm der Atem ausging. Anna mochte gar nicht hinsehen, sie musterte die Regale mit Nähwerkzeug rechts neben den Tischen. Die Nadeln glänzten nicht so neu wie im Kloster, aber auch hier waren alle Größen mehrfach vorhanden.
    Dietrich indes wehrte sich nicht, noch schien er sonderlich beeindruckt, aber er sagte auch nichts mehr.
    „Das wird dir eine Lehre sein“, schnaufte der Meister, nahm Anna am Ellbogen und führte sie zum Fenster.
    „Keine Angst , Kindchen, die Tür zu diesem Liederjahn wird nachts verrammelt und verriegelt.“ Unvermittelt fuhr er noch einmal herum, Dietrich grinste schon wieder. „Und wenn ich dich in ihrer Nähe erwische, fliegst du endgültig hinaus.“
    D ie Drohung schien zu

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