Die Gezeiten von Kregen
Zy-Disziplinen, die ich hier nicht näher erläutern kann, wird ein Krozairbruder für den Azhurad empfänglich gemacht, nur wer in den Künsten des Ordens unterwiesen ist, versteht das Signal. Sobald der Krzy den Azhurad empfing, legte er freudig seinen weißen Mantel an, gürtete sein Langschwert und stellte sich mit seinen Krozairbrüdern dem Feind.
Ich umklammerte das Geländer des Zeugenstandes und brüllte in den Lärm: »Und wenn ich den Ruf doch gehört hätte – hier bin ich! Habe ich mich nun nicht doch gemeldet? Ich war auf Kregen unterwegs, weit entfernt vom Auge der Welt. Ich mußte viele Monate reisen, um hierher zu gelangen.«
Ich war bereit, alles zu tun, um das Kommende abzuwenden.
Der Richter legte einen Zeigefinger auf die Lippen. »Hast du den Ruf gehört?«
Ich wollte nicht lügen.
»Nein. Ich habe den Azhurad nicht gehört. Aber ich bin hier!«
»Es steht fest, daß ein Bruder, wenn er lebt, den Ruf nicht überhören kann. Du bist schuldig, wie immer man es sieht: hast du den Ruf vernommen, ohne zu reagieren, mußt du verbannt werden. Hast du ihn aber nicht gehört, kann das nur heißen, daß du nie ein richtiger Krozair von Zy warst. Dein Geist war nicht rein genug, dein Ib blieb besudelt vom Schmutz des täglichen Lebens – so bist du ebenfalls verdammt. Apushniad!«
Ein Gedanke, der meiner nicht würdig war, zuckte mir durch den Kopf. »Mein Sohn Drak! Prinz von Vallia! Er wollte den Krozairs von Zy beitreten! Und mein zweiter Sohn Segnik, der sich jetzt Zeg nennt, er wollte ebenfalls in den Orden!«
Ich konnte nicht weitersprechen. Ich konnte meine Söhne nicht als Alibi vorschieben!
Der Richter zischte die Worte heraus: »Deine Söhne haben auf den Ruf reagiert. Sie kämpften freudig und mutig für Zair! Du aber ...«
»Es geht ihnen gut?«
»Sie sind am Leben. Von ihnen haben wir die Informationen, daß du gar nicht tot bist, wie wir angenommen hatten ... Sie wußten nicht, wo du warst. Der Tod wäre besser für dich gewesen.«
Pur Kazz, der Erste Abt, hob seinen goldenen Stab. Die Anwesenden schwiegen und wandten sich dem Omborthron zu.
»Als du dem Ruf nicht folgtest, Cramph, wurdest du in Abwesenheit verurteilt. Jetzt hast du die Frechheit, winselnd vor uns zu kriechen. Das bestehende Urteil wird vollstreckt. Die heutige Verhandlung ist nur angesetzt worden, um dir, der du an sich keine Rücksicht verdienst, zu zeigen, daß die Krozairs von Zy nicht aus Rache oder Bosheit Recht sprechen, sondern auf der Basis von Gesetz und Ordnung und aus ihrer Liebe zu Zair.«
Ich starrte ihn an. Seine Stimme klang undeutlich. Seine Hände zitterten stärker. Ich hatte ihn als arrogant und mutig und lebensfroh in Erinnerung. Die entstellende Narbe schien auch seine geistigen Fähigkeiten zu beeinträchtigen. Außerdem hatte er mich Cramph genannt, was ein ziemlich böses Schimpfwort war. Kein anderer Ordensbruder hatte sich bisher zu Beleidigungen hinreißen lassen. »Und meine Delia?« brüllte ich. »Die Prinzessin Majestrix von Vallia? Sie ist hier. Ich verlange sie zu sehen!«
»Du hast nichts zu verlangen!«
Die hastigen Worte des Richters gingen in dem Wutschrei Pur Kazz' unter. Ich verstand nicht, was er sagte, und glaube, daß auch die anderen nichts mitbekamen, doch spürten wir alle die düstere Leidenschaft des Zorns, die ihn schüttelte.
»Das Urteil soll vollstreckt werden!«
Pur Ikraz, der mich verteidigen sollte, bat um Milde, doch Pur Kazz schwenkte seinen goldenen Stab und ließ ihn auf den Boden knallen. Mein Verteidiger zuckte zusammen und schwieg.
An die Ereignisse der nächsten Zeit erinnere ich mich nicht sehr deutlich. Nur bruchstückhaft sehe ich Männer, die zu mir kamen und rituelle Worte vor mir aufsagten. Andere rissen die leuchtenden Symbole von meinem weißen Mantel. Dumpf wurde mir bewußt, warum man mir die Kleidung eines Krozairs von Zy angelegt hatte – nur um mir in Schande die Zeichen des Standes wieder nehmen zu können!
Mein Langschwert wurde aus der Scheide gezogen. Ich sah vor mir drei Gestalten in hohen Spiegeln, den Spiegeln des Ib, so arrangiert, daß der Angeklagte sich in seiner Schande sehen konnte.
Als das Schwert leise zischend aus der Scheide glitt, fuhr ich zurück. Ich sah Pur Kazz, der sich auf die goldene Armlehne des Omborthrons stützte. Ich sah die Fackeln und Lampen, die Gesichter der Ordensbrüder, ich hörte den Gesang, mit dem sie das Böse vertrieben. Ich hörte und sah dies alles und erinnere mich an nichts weiter,
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