Die Gezeiten von Kregen
Naghan war immer auf seinen Vorteil bedacht. Ich wette, er hat dir ein kleineres Goldstück gegeben als das, was er immer in die Höhe warf.«
»Einen Nikzo.«
Ein halbes Zo-Stück. Nicht sechzig Silber-Zinzers, sondern nur dreißig – mein Gewinn war um die Hälfte reduziert worden. Duhrra überraschte mich, indem er in die flache Ledertasche an seinem Schultergurt griff und einen anderen Nikzo hervorholte.
Er reichte mir die Münze: »Dies gehört rechtmäßig dir, denn du hast mich besiegt.«
»Mehr durch Glück als durch Können«, entgegnete ich und hoffte, er würde die Bemerkung durchgehen lassen. »Aber eine Wette ist eine Wette, und ich brauche das Geld.« Ich nahm die Münze. Im Augenblick hatte ich meinen Stolz tief unter dem kregischen Erdboden begraben.
Die Wahrheit lag in dem Umstand, daß ich diesen Mann bewunderte wie einen Zhantil: die Wildheit dieses Tiers fand ihr Gegengewicht in dem schlichtmütigen Unterordnungsbedürfnis des Mannes. Die Vorstellung, daß er mich begleiten würde, erfreute mich.
Duhrra hob den verbundenen Armstumpf und musterte ihn kritisch. »Ich muß auf meinen Haken warten. Gib mir einen Rat. Vor uns liegt Shazmoz, aber es wird belagert. Dort könnte man mir so ein Ding anbringen.«
Ich traf meine Entscheidung.
»Wir gehen nach Shazmoz. Ich muß dort mit einem Mann sprechen. Anschließend geht es zum Akhram.«
17
Unsere Reise nach Shazmoz würde nicht einfach sein.
Wir zügelten unsere Sectrixes am Hang und ließen sie verschnaufen, während wir hinab auf das Lager der zairischen Armee blickten. Zu unserer Rechten schimmerte das blaue Meer. Auf der riesigen Fläche war kein einziges Segel zu sehen. Der klare Himmel erhob sich über uns, und das vermengte Licht der Sonnen erfüllte die Welt.
»Wie man hört, sind es dreißigtausend«, sagte Duhrra.
»Und wie viele Soldaten haben die zairverfluchten Grodnim?«
Er schwenkte den Armstumpf. »Genau weiß das niemand. Es ist von ... äh ... sechzigtausend die Rede.«
»Aber sie müssen Shazmoz belagern und zugleich Front machen gegenüber unserer Feldarmee. Das ist keine Kleinigkeit.«
»Zair möge ihre Knochen zerfallen und ihre Leber grün werden lassen.«
Shazmoz war ein vager Umriß am Ende einer Bucht – weiße Dachkuppeln und Türme, helle Mauern, die in der Sonne buken. Dort drüben war eine erbitterte Belagerung im Gang: das Feldlager unter uns dagegen schien zu schlummern.
Ich hatte erfahren, daß ein gewisser Roz Nath Lorft {*} kommandierender General dieser Armee war. Er hatte einen guten Ruf. Er war kein Krozair. Seine Aufgabe, Shazmoz zu entsetzen, war sehr schwierig, und ich ahnte, daß er die Armee nur vorsichtig in Kontakt mit dem Feind halten würde, um ihn so lange wie möglich zu stören. Wenn Shazmoz dann fiel, konnte er zurückweichen. Es sah so aus, als hätten die Zairer die Fähigkeit verloren, sich den Grodnim in offener Schlacht zu stellen.
Duhrra erwartete meine Befehle. Es ärgerte mich, daß er mich so einfach als Herrn ansah. Er war meistens mürrisch und schweigsam, was mir durchaus paßte, da wir in dieser Hinsicht ähnlich waren. Aber ich wollte, daß er sich mir gegenüber als Gefährte benahm, wozu er wohl weder bereit noch in der Lage war. Ich schüttelte die Zügel unserer Reittiere.
»Ans Werk!«
Das Lager braucht nicht im einzelnen beschrieben zu werden; es war ein ganz normales Armeelager mit der einen Besonderheit, daß hier eben die individualistisch veranlagten Zairer kampierten. So gab es keine geraden Zeltreihen – jede Art von Reglementierung war über Bord geworfen worden. Gewiß, man hatte Regimenter und Titel und Tagesbefehle, und sicher gab es in irgendeinem staubigen Büro des verantwortlichen Pallans entsprechende Unterlagen. Aber im Grunde kämpften die Zairer, wie sie lebten – temperamentvoll, ungezügelt, jeder Mann begierig, dem Gegner zu zeigen, was er von ihm hielt. Die Kavallerie senkte die Lanzen und galoppierte los, sobald sie einen geeigneten Gegner vor sich zu haben glaubte. Die Infanteristen wogten dann schreiend durcheinander in ihrem Bemühen, Schritt zu halten. Nur bei den Varteristen gab es eine Art Disziplin, aber auch nur deswegen, weil ihr Handwerk in Theorie und Praxis eine strenge Ordnung erforderte.
Eine säbelrasselnde Bande – ja, so konnte man die Zairer wohl nennen. Jeder Haudegen eine Armee für sich.
Wir ließen unsere Sectrixes im Schritt den Hang hinabgehen. Duhrra war das Erbe Naghans des Schaustellers zugefallen;
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