Die Gezeiten von Kregen
Dak, mein Herr.«
»Verdammt, ich bin nicht dein Herr! In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort: Wo es noch Leben gibt, ist noch Hoffnung. Das wäre also geklärt.«
Oh, ich wußte durchaus, was die Entscheidung für einen Mann wie Duhrra bedeutete, für einen auf Kraft und Bewegung ausgerichteten Menschen, der seinen Lebensunterhalt mit Ringkämpfen bestritten hatte.
»Die grünen Meeres-Leem rücken weiter vor«, sagte Duhrra. »Ich bin kein Calsany in solchen Dingen. Warum zögerst du?«
»Ich möchte vorher von dir hören, ob du dich wirklich dazu entschlossen hast.«
»Ja. Ja!«
Die Flammen schlugen höher: die grüngekleideten Cramphs aus Magdag näherten sich mit drohend erhobenen Waffen. Die Entscheidung war vielleicht doch nicht so schwer, wie ich angenommen hatte.
Einer Leiche riß ich einen Streifen von der Tunika ab und legte Duhrra einen Armknebel an, den ich so fest zog, daß eine kleine Kerbe auf seiner Stirn erschien – das einzige Zeichen des Schmerzes, das dieser Menschenriese offenbaren würde.
Dann trat ich zurück und hob das Langschwert.
»Zögere nicht, Dak«, sagte er. »Die Rasts aus Magdag sind fast zur Stelle, die Flammen beginnen weh zu tun.«
Das Langschwert zuckte herab.
Ich zerrte Duhrra hoch, und seine zerquetschte Hand und ein Stück seines Handgelenks blieben zwischen den brennenden Holzbalken zurück. Die Klinge hatte genau getroffen. Natürlich spritzte Blut aus der Wunde, aber er würde es überstehen, bis sich ein Arzt um den Stumpf kümmern konnte.
Die Flammen brausten und knisterten, und der Rauch wurde vom Wind herabgedrückt. Ich stützte Duhrra. Weitere Gestalten erschienen, diesmal rotgekleidete Kämpfer. Bewußt entfernte ich mich von der Szene des Kampfes. Ein Hikdar rief triumphierend: »Wir schlagen die Cramphs in die Flucht!«
Ich verzichtete auf die Bemerkung, daß die Angreifer auf jeden Fall erreicht hatten, was sie wollten.
Duhrra und ich verließen das Schlachtfeld, um einen Knochenflicker zu finden, der sich Duhrras Schmerzen und Armstumpf annahm.
Er atmete krampfhaft ein. »Ich glaube, es würde mir sehr mißfallen, wenn man mich künftig Duhrra den Ob-Händigen nennen würde.«
»Wenn du darauf bestehst, wird man dich nicht so nennen«, sagte ich besänftigend.
»Das ist wahr.«
Und so wanderten wir weiter, und ich sagte mir, daß ich an diesem Abend eigentlich am besten abgeschnitten hatte.
Denn Duhrra hatte eine Hand verloren und ich einen Namen erhalten.
16
Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von – nein, nein, ich war ja kein Angehöriger des Zy-Ordens mehr! Das durfte ich nicht vergessen! Ich konnte es nicht vergessen. Diese Tatsache war in mein Bewußtsein eingebrannt wie mit einem glühenden Eisen.
Ich, der schlichte Dray Prescot, der auf Kregen unter Antares viele Namen getragen hatte, mußte mir wieder einmal eine neue Identität beschaffen.
Die Gründe lagen auf der Hand: fand man in dieser Armee, in der zahlreiche Krozairbrüder dienten, einen Mann namens Prescot, so konnten die Folgen nicht lange auf sich warten lassen.
Die neue Identität war mir durch Duhrra gegeben worden – ich wollte den Namen Dak in Ehren halten. Der weißhaarige alte Mann hatte wie ein echter Jikai gekämpft. Trotz meiner Niedergeschlagenheit war ich entschlossen, sein Andenken hochzuhalten.
Am nächsten Tag besah man sich den Schaden im Lager.
Die Grodnim hatten allerhand zerstören können, doch ihrer rächenden Hand war auch viel entgangen. Ihr Vorstoß kam einem Nadelstich gleich, der für sich allein gesehen die Armeen der Zairer nicht wesentlich schwächte, der aber im Zusammenhang mit anderen ähnlichen Überfällen die Mühen der Roten gefährden konnte.
Ich war kein Krozair mehr – was ging mich das alles an? Ich dachte an mein Gefühl für Mayfwy und Felteraz. Ich sah, wie der Krieg hier lief. Aber ich dachte auch an meine eigene Zukunft. Delia hatte mir das Ziel vorgegeben, im vollen Bewußtsein meiner Seelenqualen wegen des unehrenhaften Ausstoßes aus der Bruderschaft von Zy. Und doch ... War das Dasein als Krozairbruder so überragend wichtig im Lichte der Dinge, die an den Äußeren Ozeanen auf mich warteten? Nein. Nein, wie üblich war ich ein großer Dummkopf gewesen.
Einundzwanzig elende Jahre lang hatte ich meine Delia nicht mehr gesehen, um sie dann nach einer bloßen Bur in der Zelle von Zy wieder zu verlieren.
Während ich mich in dem überfallenen Lager umsah, während ich Arbeitern und Soldaten
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