Die Giftköchin
Alles wäre im Lot gewesen, hätte nicht im Hintergrund ständig die Angst vor Kauko Nyyssönen und seinen erbarmungsl o sen Kumpanen gelauert. Linnea war sicher, daß das Gaunertrio ihr wegen der Polizeioperation von Harmisto sehr grollte. Sie fürchtete Rache. Kauko konnte gewal t tätig werden, Linnea kannte ihn gut. Im schlimmsten Falle würde seine Bande auch vor einem Gewaltverbr e chen nicht zurückschrecken.
Linnea hatte sich überlegt, daß sie so dringend wie kein anderer ein wirksamen und tödliches Gift benöti g te. Wenn die Situation unerträglich würde, könnte sie sich aus den Fängen der Burschen retten, indem sie Gift nahm. Eine hilflose, alte Frau war gut beraten, sich auf das Allerschlimmste einzustellen. Außerdem war Linnea in einem Alter, in dem Grund bestand, auch die Mö g lichkeit einer schweren Krankheit ins Auge zu fassen. Es schauderte sie vor langsamen Dahinsiechen im Kra n kenbett, sie hatte fürchterliche Angst vor Krebs und seiner qualvollen Endphase. Heutzutage hielten die Ärzte auch ihre hoffnungslosesten Fälle bis zum Schluß am Leben, doch dem wollte sich Linnea nicht aussetzen. In einer solchen Situation wäre die eigene Giftflasche eine unersetzliche Hilfe.
Gift zu kochen war bestimmt auch sehr viel spanne n der als Porzellanmalerei oder Zierstickerei. In ihrer Situation erschien es geradezu als nützliches Hobby, obwohl es zweifellos einen düsteren Beigeschmack hatte.
Linnea hatte im Jahre 1929 am Mädchennormall y zeum von Helsinki ihr Abitur gemacht. Seitdem hatte sie sich nicht mehr mit Chemie befaßt, so daß die Aufna h me des neuen Hobbys gewisse Studien erforderte. Außer dem Lexikon stand ihr dafür auch Jaakkos medizinische Fachliteratur zur Verfügung.
Das Gebiet erwies sich gleich von Anfang an als a u ßerordentlich interessant. Zusätzliche Spannung ergab sich daraus, daß Linnea ihre Aktivitäten vor Jaakko geheimhalten mußte. Wahrscheinlich hätte er sich gegen das Giftkochen ausgesprochen; Ärzte sind schließlich verpflichtet, Leben mit allen Mitteln zu erhalten.
Linnea beschloß, eine so starke Giftlösung herzuste l len, daß sie ausreichen würde, halb Helsinki zu töten, falls es notwendig wäre. Anhand der Bücher informierte sie sich, welche Inhaltsstoffe sie für das Gebräu bescha f fen mußte. Von einem Stoff namens Botulintoxin reichte schon eine Menge von 8-10 µ g, um einen Menschen zu töten. Die genannte Maßeinheit µ g war anscheinend der hundertste Teil eines Milligramms, wie Linnea vermut e te. In der Apotheke wurde dieser Stoff jedoch nicht verkauft, so daß Linnea ihn aus ihren Plänen streichen mußte. Digitoxin war hingegen zu haben, natürlich nicht für jeden, aber für Linnea war es ein leichtes, ein Rezept zu schreiben und Jaakkos Unterschrift darunte r zusetzen. Ohne eine Frage zu stellen, händigte man ihr in der Apotheke das Digitoxin aus. Nur 0,01 Gramm davon reichten aus, um einen Menschen zu töten. Li n nea besorgte sich außerdem gelben Phosphor, Natriu m zyanid, Oxalsäure und Strychnin. Morphium stibitzte sie aus Jaakkos Medikamentenschrank, ebenso einige starke Barbiturate. Die Grundsubstanzen für das Gif t gebräu hatte sie allmählich beisammen.
Linnea besuchte nun den Markt von Töölö und scha u te, ob an den Verkaufsständen noch Steinmo r cheln auslagen. Die Markthändler bedauerten und sagten, die beste Steinmorchelzeit sei bereits vorbei. Wenn die Dame jedoch unbedingt welche wünsche, so ließe sich das regeln. Eine Marktfrau hatte Pilze für den eigenen Bedarf gesammelt und war bereit, eine kleine Menge davon zu verkaufen; sie seien allerdings inzw i schen ein wenig schrumpelig.
»Sie haben sie hoffentlich nicht getrocknet?« fragte Linnea besorgt. Sie wußte, daß beim Trocknen das Gift aus den Steinmorcheln verdunstet.
Die Händlerin sagte, sie habe es ursprünglich bea b sichtigt, doch zu Beginn des Sommers sei stets soviel zu tun, daß sie nicht zum Trocknen der Pilze gekommen sei. Linnea bestellte zwei Liter von den Steinmorcheln. Am nächsten Tag holte sie ihre Bestellung ab, legte die Hälfte beiseite und bereitete aus der anderen Hälfte als Abendessen für Jaakko und sich ein leckeres Schmorg e richt. Den Rest zerkleinerte sie und verrührte ihn zu einer feinen Paste, der sie eine Prise Phosphor und einen Tropfen Morphium beimengte. Dieses Gemisch ve r schloß sie in einer luftdichten Glasflasche, um es später als Trägersubstanz des Giftes zu verwenden. Zufrieden dachte die Hobbychemikerin
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