Die Giftköchin
entwickelte den Gedanken weiter. Die Ermo r dung eines todkranken Menschen sollte als geringfüg i ges Verbrechen betrachtet werden, während im Falle eines rundum gesunden Menschen natürlich eine Fre i heitsstrafe verhängt werden müßte. Leider sah es das Strafrecht vorläufig nicht als mildernden Umstand an, wenn das Opfer furchtbar alt und krank gewesen war. An sich und zumindest im Falle Linnea Ravaskas ein bedauerliches Mißverhältnis, eine schreiende Ungerec h tigkeit. Auch in dieser Hinsicht fühlte Kake sich benac h teiligt. Pera fand, über die Ungereimtheiten des Strafg e setzes brauchte man sich nicht zu wundern. Reiche, alte Knacker hätten das Gesetz so gestaltet, weil sie um ihr Leben und ihr Geld fürchteten. Jari interessierte sich nicht für diese strafrechtlichen Theorien. Er war jung und ungeduldig, ein Mann der Tat. Während er seine Freunde im Spiel ausstach, meinte er:
»Wirklich, Kake, Linnea sollten wir uns vorknöpfen.«
Kauko Nyyssönen malte sich aus, wie er auf seine Tante herabschaute, die erschlagen auf dem Fußboden ihres Häuschens in Harmisto lag. Ihr Kopf zerschme t tert? Ihr Kiefer ausgerenkt, der linke Arm gebrochen? Die Vorstellung verursachte ihm zuerst einen wohligen Schauer, doch dann wurde ihm übel. Linnea hatte ihn immerhin von klein auf umsorgt.
Kauko Nyyssönen erklärte seinen Spielpartnern, ihr Gefühlsleben sei offensichtlich völlig abgestorben.
»Manchmal kommt es mir fast vor, als ob ich unter Mördern sitze«, sagte er.
Die beiden sahen ihn verwundert an, dann lachten sie hohl. Jari Fagerström hatte im vergangenen Herbst in Ruskeasuo einen Rentner zu Tode mißhandelt, und Pertti Lahtela hatte vor ein paar Jahren wegen To t schlags einige Zeit im Jugendgefängnis von Kerava gesessen.
8
Das Leben Linnea Ravaskas in der geräumigen Wo h nung des Lizentiaten der Medizin, Jaakko Kivistö, verlief bald in angenehm heiteren Bahnen. Im Haus herrschte Ruhe, nach langer Zeit brauchte Linnea endlich keine demütigenden Überraschungsbesuche mehr zu fürc h ten. Nicht einmal das Brausen des Verkehrs auf der nahen Runebergstraße störte ihren Nachtschlaf, schlie ß lich war sie eine alte Städterin, der das Rattern der Straßenbahn in der Frühe als anheimelndes Hinte r grundgeräusch vertraut war.
Jaakko Kivistö war sehr feinfühlig, er stellte Linnea die nötigen Kleiderschränke zur Verfügung und leerte für sie einen Spiegelschrank im Badezimmer. Er übe r nahm es auch, jeden Morgen ein gutes Frühstück zuz u bereiten, das er Linnea auf einem Tablett in ihr Schla f zimmer brachte.
Mittags aßen sie auswärts, oft im nahegelegenen, von den Künstlern bevorzugten Restaurant »Elite«. Ein ric h tiges warmes Abendessen nahmen die beiden alten Leute nicht ein, sie begnügten sich mit einem leichten Abendbrot, das Linnea zubereitete und zu dem sie ein Gläschen Wein tranken.
An zwei Tagen der Woche wurde die Praxis für ein paar alte Patienten geöffnet. Dann zog sich Linnea den weißen Kittel der Arzthelferin an und kümmerte sich um die zur Untersuchung erscheinenden Patienten. Ihre Arbeit bestand hauptsächlich im Gespräch. Die Leute erzählten ihr beunruhigt von ihren zahlreichen Leiden; Linnea hatte mit vielen Krankheiten eigene Erfahrungen, und so waren die Unterhaltungen im Wartezimmer jedesmal sehr bereichernd.
Einmal in der Woche kam eine tüchtige Putzfrau in die Wohnung, um die Fußböden abzusaugen und die Teppiche zu klopfen. Linnea wischte jedoch gern selbst den Staub von den Möbeln, putzte das Silber und sorgte dafür, daß in allen Zimmern immer frische Blumen standen. Auch brachte sie jede Woche die Wäsche in die Wäscherei. Wenn sie ihre eigenen Sachen bügelte, ve r gaß sie nie Jaakkos Hemden. Die modernen Hemden waren ja so leicht in Ordnung zu halten, denn sie hatten keine Kragen, die gestärkt werden mußten, so wie fr ü her. Zum Glück trug Jaakko keine Uniform. Linnea hatte seinerzeit schnell genug davon bekommen, Ra i ners Drillichzeug zu lüften und zu plätten. In dieser Hinsicht war es sehr viel angenehmer, sich um einen Arzt zu kümmern als um einen Offizier, dessen schwere Kleidungsstücke schon nach einem Tag Gebrauch nach Schweiß und Stiefelwichse rochen.
Die Tage flossen ruhig dahin. Linnea blieb reichlich Zeit zur freien Verfügung, denn in der Stadt brauchte sie keinen Garten zu pflegen, kein Wasser und kein Bren n holz zu tragen und auch sonst keine notwendigen häu s lichen Arbeiten zu verrichten wie in Harmisto.
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