Die Giftköchin
gewöhnlichen Oberst zurückg e blieben war und die Jahrzehnte überdauert hatte. Die Offizierspistole, der Feldstecher, der Kompass, die Ka r tentasche, gefüllt mit Geländekarten der Befestigung s anlagen auf der Karelischen Landenge, jene Bunker, von Rainer mitgebaut, lagen jetzt auf russischem Gebiet. Weshalb hatte sie Rainers Rasierpinsel und -messer aufgehoben? Die Uniform war von Motten zerfressen, Linnea beschloß, sie gelegentlich zur Mülltonne zu tragen. Die prächtigen Kragenspiegel eines Oberst würde sie vielleicht dennoch abtrennen und zur Erinnerung aufbewahren. Ein paar Abzeichen und Orden, einige Zeitschriften aus der Kriegszeit.
Die Matrikel der im Winterkrieg Gefallenen »Der Preis unserer Freiheit«, ein Paar Sporen, ein Riemen, ein Taschenspiegel mit silbernem Rahmen und ein silbernes Zigarettenetui.
Den Spiegel und das Etui hatte Linnea ihrem Mann am 8. Dezember 1941 zu seinem 35. Geburtstag g e schenkt. Das war eine herrliche Zeit gewesen, eigentlich jenes ganze Jahr. Im Sommer war Rainer zum Obers t leutnant befördert worden, und im Dezember hatten die Japaner Pearl Harbor angegriffen. England hatte Fin n land den Krieg erklärt, aus purer Bosheit genau an dessen Unabhängigkeitstag, doch damals hatte man sich keine großen Sorgen darüber gemacht. Die Deu t schen hatten zu Beginn des Winters furchtbare Probl e me vor Moskau bekommen, doch Rainer hatte besc h wichtigend gesagt, das habe nichts zu bedeuten, die Deutschen würden Moskau einnehmen, sowie der Frost nachließe und die Panzer wieder in Gang gesetzt werden könnten. Linnea hatte ihrem Mann geglaubt, denn ein fähiger, junger Oberstleutnant konnte natürlich militär i sche Fragen besser einschätzen als seine Frau.
Linnea legte die Silbergegenstände ins Fach und nahm Rainers Pistole in die Hand. Es war eine schwere, blauschwarze, kalte Parabellum, sie steckte in einem abgenutzten Lederfutteral und hatte zwei Magazine mit Munition. Linnea hatte während des Krieges oft damit schießen dürfen, Rainer hatte es ihr beigebracht. Sie war äußerst treffsicher gewesen, ein besserer Pistole n schütze als ihr Mann, doch das mochte auch daher rühren, daß Rainer und die anderen Offiziere im allg e meinen erst dann Interesse am Schießen bekamen, wenn sie ein wenig betrunken waren.
Linnea kontrollierte, ob die Waffe auch nicht geladen war, spannte und drückte ab. Die Pistole funktionierte tadellos, nicht der kleinste Rostfleck war darauf zu erkennen. Linnea steckte die nun geladene Pistole in ihre Handtasche, sie könnte ihr Schutz gegen Nyyss ö nen und seinen Freund bieten. Zumindest könnte sie sich im Notfall damit erschießen, falls sie nicht dazu käme, sich ihr selbstgebrautes Gift in die Adern zu pumpen. Der Nichtsnutz Pertti Lahtela wurde in verei n barter Form eingesegnet und verbrannt; seine Wohltät e rin, die dümmliche Barhilfskraft Raija Lasanen, vera n staltete in ihrer Wohnung in der Eerikstraße eine G e denkfeier. Anwesend waren nur ein paar Freunde und Bekannte des Toten, Randfiguren der Gesellschaft. Man trank Kaffee und aß die von Linnea Ravaska gebackene süße Torte. Kake Nyyssönen hielt eine kurze, schlichte Rede zum Gedenken an seinen Freund. Er sprach von der Schlechtigkeit der Welt und der Scheibe, die sich Pertti Lahtela im Laufe seines Lebens davon abgeschni t ten habe. Später am Abend ging man in die Gaststätte Kanne auf ein Gedächtnisbier.
Drei Tage später wurde der Verstorbene im Urnenhain von Hietaniemi beigesetzt. Der Leichnam war eing e äschert, der Krematoriumsvertreter übergab Raija Las a nen die Urne. In Raijas Begleitung befanden sich Jari Fagerström und Kauko Nyyssönen, ihnen übergab der Mann den Spaten, dann ging er voraus, um den Gästen den Urnenhain zu zeigen. Im Gänsemarsch begab man sich in den nördlichen Teil des Friedhofs, wo sich in der entferntesten Ecke eine trostlose, rasenbewachsene, kleine Senke befand, daneben eine düstere, aus Schi e fersäulen errichtete Pergola und eine stilisierte gramvolle Skulptur, von der Hand irgendeines Künstlers offenbar zu dem Zweck geschaffen, beim Betrachter Todesfurcht zu wecken. Ein freudloser Ort. Raija hielt einen Strauß Blumen in der Hand.
Linnea Ravaska hatte sich zeitig auf dem Friedhof eingefunden, um zu verfolgen, wie Lahtelas Asche unter die Erde kam. Sie hatte in der Nähe des Urnenhains ein Versteck bezogen, auf einer etwa fünfzig Meter entfer n ten Anhöhe hinter Grabsteinen und Bäumen. Sie hielt mit ihrem Opernglas
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