Die Giftköchin
Ausschau und konnte so schon von weitem das Eintreffen des kleinen Trauerzugs im Urnenhain erkennen. Sie hatte ihren Muff bei sich, außerdem in einer Tragetasche Rainers Pistole.
Der Krematoriumsvertreter erklärte, die Trauergäste dürften im Rasen an einer Stelle ihrer Wahl eine kleine Grube schaufeln, sie müßten zuerst die oberste Schicht abheben und die Asche darunter in die Erde bringen, dann die abgetragene Rasenschicht wieder zurücklegen und den Boden ebnen. Die Urne dürfe nicht mit der Asche begraben werden, sie sei Eigentum des Kremat o riums und den Angehörigen nur für die Dauer der Z e remonie ausgeliehen, ebenso der Spaten. Der Mann entfernte sich, nachdem er die Trauergäste noch einmal daran erinnert hatte, ihm sowohl die Urne als auch den Spaten anschließend zurückzubringen.
Raija Lasanen wählte eine geeignete Stelle, an der P e ras Asche beigesetzt werden konnte. Jari Fagerström nahm den Spaten und begann, den festgetretenen Rasen aufzuhacken. Kauko Nyyssönen stand daneben und hielt die Urne. Nach einiger Zeit wechselten sich die Männer ab. Raija Lasanen weinte.
Linnea Ravaska betrachtete Nyyssönen und Fage r ström durch das Opernglas; sie mußte daran denken, wie jene Burschen sie in Harmisto gequält hatten. Sie legte das Glas auf dem Grabstein ab, unter dem laut Inschrift ein gewisser Uolevi Prusti ruhte, geboren 1904, gestorben 1965. Wer weiß, was der zu Lebzeiten für ein Kerl war, dachte Linnea, während sie die Pistole aus ihrer Tasche holte. Sie brachte die Waffe auf Prustis Grabstein in Anschlag, bedeckte sie mit ihrem Muff und hockte sich nieder, um zu zielen. Sie hatte die wilde Idee, Kauko, Nyyssönen und Jari Fagerström im Urne n hain zu erschießen. Erneut spähte sie durchs Oper n glas, Kauko, der gerade schaufelte, befand sich genau in der Schußlinie. Ach, es wäre so leicht, ihm in die Brust zu schießen, aus dieser Entfernung würde sie ganz bestimmt treffen. Linnea war selbst entsetzt über ihr Verlangen, aber sie würde ja doch nicht abdrücken, auch wenn sie die Männer, die dort schaufelten, unen d lich haßte. Wenn es allerdings gerecht zugehen sollte, wäre der Schuß fällig.
In Linneas Augen funkelte ein lauernder Blick, der Pistolenkolben ruhte auf dem kalten Grabstein, der Lauf richtete sich auf die Brust ihres Pflegesohns, über die Kimme konnte sie seine blaue Jeansjacke erkennen. Linneas knöcherner Finger krümmte sich am Abzug.
Plötzlich sprang ein neugieriges Eichhörnchen auf U o levi Prustis Grabstein und von dort auf den Pistolenlauf, um von dem lieben, alten Mütterchen Futter zu erbe t teln. Linnea Ravaska bekam einen derartigen Schreck, daß sie ihren genauen Zielpunkt verlor, aus Versehen löste sich ein Schuß, die Kugel pfiff hinunter in den Urnenhain und durchbohrte den Spaten. Das Eichhör n chen sauste mit gesträubtem Fell auf den höchsten Baum des Friedhofs.
Jari Fagerström und Kauko Nyyssönen nahmen blit z schnell Deckung hinter den nächsten Grabsteinen. Raija Lasanen blieb starr vor Schreck mit der Urne in der Hand mitten in der Senke stehen. Die entsetzte Linnea Ravaska versteckte die Pistole in ihrem Muff und husc h te geräuschlos wie ein Gespenst zum Friedhofstor. Sie lief zum nahegelegenen Kapellenhügel, glitt durch die offene Tür ins Kolumbarium und drückte sich im hi n tersten Raum der Urnenhalle in eine Ecke. Sie kniete vor der Wand nieder und faltete die Hände in ihrem Muff, wo immer noch die Parabellum steckte. Linnea beschloß, falls man käme, um sie aus dem Dunkel des Kolumbariums ans Tageslicht zu ziehen, würde sie den ersten, der auftauchte, erschießen.
Linnea tat, als bete sie, dabei blickte sie geradeaus auf die steinerne Urnenplatte und las den eingravierten Text: Tekla Grönmark, geborene Salmisensaari, geboren 1904, gestorben 1987. Du liebe Zeit, da war ja Teklas Grab direkt vor ihren Augen! Tekla war also erst letztes Jahr gestorben, diese Kokette war ja mächtig alt gewo r den! Aber warum hatte man sie, Linnea, nicht zur Bee r digung eingeladen, wie ungehörig.
In ihrem Ä rger kam Linnea nicht auf die Idee, daß Teklas Angehörige vielleicht nicht ihre Adresse in Siu n tio gekannt hatten.
In gewisser Weise freute sie sich, Teklas Grab zu s e hen. Sie hatte die Frau bereits seit den dreißiger Jahren gekannt, sie hatten sich in Viipuri getroffen. Tekla war schön und ungemein flatterhaft gewesen, eine echte Megäre der Hautevolee. Sie hatte Männer gepflückt wie Beeren und sie dann
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