Die Giftköchin
Überweisung an das »Reisen« zu bezahlen. Der Geschäftsführer des Verbandes grübelte noch lange vor sich hin, was das alles wohl zu bedeuten habe. Gege n über einer Freundin des Ministers mußte man sich natürlich loyal verhalten und ihre Auslagen in Stoc k holm erstatten, das war klar. Aber wie in aller Welt war der Minister darauf verfallen, sich gerade den Horton o menverband auszusuchen? Am meisten wunderte sich der Geschäftsführer über Pohjolas Dreistigkeit. Nach all den Schmiergeldaffären der letzten Zeit gehörte tatsäc h lich Kaltschnäuzigkeit dazu, wenn er die Rechnungen seiner Frauengeschichten aus den Kassen der Organis a tionen bezahlen ließ, die zu seinem eigenen Ressort gehörten. Erstaunlich auch, daß Pohjola eine Beziehung zu einer Offizierswitwe unterhielt. Der Geschäftsführer hatte vom Minister einen ganz anderen Eindruck g e wonnen. In der Öffentlichkeit nämlich gab sich der Mann als ungemein zuverlässiges und grundehrliches Mitglied des Staatsrats. Aber der Geschäftsführer b e griff, daß das öffentliche Bild oft nur Blendwerk ist.
»Ein Zentrumsmann«, sagte er mit einem Achselzu c ken. Als die Sache geklärt war, suchte der Direktor des »Reisen« Linnea auf und erklärte, der Preisunterschied zwischen der Suite und einem gewöhnlichen Zimmer werde dem Hortonomenverband nicht in Rechnung gestellt. Er entschuldigte sich für das Hin und Her und schickte ihr eine Flasche Sherry aufs Zimmer.
Linnea ruhte vormittags in ihrer Suite, nahm dort ein leichtes Mittagessen ein und ging dann erfrischt aus, um sich die Stadt anzusehen. Das Wetter war seit dem Morgen aufgeklart, es war äußerst angenehm, ohne Eile durch die engen Gassen der Altstadt zu spazieren, die voller sommerlich gekleideter Touristen war. Stockholm hatte sich im Laufe der Jahre nicht viel verändert. Li n nea erinnerte sich, daß sie bereits 1936 im Frühsommer erstmals zum Einkaufen dort gewesen war, damals war es besonders vornehm gewesen, so weit zu reisen. Zum selben Zeitpunkt hatte der schwedische König die finn i schen Städte Turku und Naantali besucht, alle Zeitu n gen in Stockholm hatten davon berichtet. Damals wu r den die Zeitungen an den Straßenecken von kleinen Wagen verkauft, und sie zeigten keine Fotos nackter Frauen, so wie heutzutage.
Linnea überlegte, was sie für Jaakko Kivistö kaufen sollte. Es war tatsächlich schwierig. Jaakko hatte alles, was er brauchte, seine große Wohnung war angefüllt mit den verschiedensten Dingen. Es schien Verschwendung zu sein, einem womöglich bald an Altersschwäche ste r benden Mann etwas Wertvolles und Dauerhaftes zu kaufen. Linnea dachte sich, das Geschenk müßte auf gewisse Weise nutzlos aber dennoch gewichtig sein, und irgendwie auch zeitlos und vielleicht ein bißchen u n praktisch. Sie entschied sich schließlich für einen ma r mornen Briefbeschwerer mit einem Griff aus Elfenbein. Für sich selbst kaufte sie ein Nachthemd aus Naturse i de. Nachdem sie die Einkäufe ins Hotel gebracht hatte, verbrachte sie den Rest des Tages in Skansen, genoß die Sehenswürdigkeiten und die Nachmittagswärme.
Jari Fagerströms Reise endete erst, nachdem das Schiff im Hafen festgemacht hatte und man die Tür des Arrestraums öffnete. Der brüllende Rahikainen war bereits eine Stunde zuvor herausgelassen worden, zum Glück war er schon vom Schiff gegangen. Der Körper steif von der harten Unterlage, auf der er die Nacht verbracht hatte, wankte Jari durch den Zoll in den Hafen. Ein Schwarm nickender Tauben trippelte auf dem Gehweg, Jari nahm Anlauf und versetzte der nächstbesten einen Tritt, daß sie tot mitten auf die Straße geschleudert wurde. Mit kalter Zufriedenheit stapfte Jari zur Metro und fuhr ins Stadtzentrum.
Jari Fagerström stolperte den ganzen Tag durch die Stockholmer Straßen, besuchte Kneipen, trank, zettelte Streit an, geriet in eine Schlägerei, bekam blaue Flecken und wurde noch verdrossener. Wäre er in diesem Z u stand Linnea begegnet, hätte er sie ohne weiteres ang e fallen, sogar mitten in der Menschenmenge.
Gegen Abend gelang es ihm, ein wenig Rauschgift zu kaufen, es kostete Unsummen. Nachdem er sich eine Spritze gesetzt hatte, lebte er für eine Weile auf, genoß seinen Aufenthalt und umarmte die Welt, bis die Wi r kung der Injektion nachließ und sich der deprimierende Alltag der fremden Großstadt wieder seiner bemächtigte.
Gegen Mitternacht begann es zu regnen, es wurde kühler. Jari fror, er war furchtbar müde. Er versuchte, in
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