Die Giftköchin
einem Hotel zu übernachten, aber wegen seines sti n kenden, ramponierten und fixermäßigen Äußeren nahm man ihn nicht auf. Er verzog sich in die Gegend von Riddarholm und schlief ein paar Stunden am Strand, irgendwo hinter geparkten Autos, frierend und naß. In der Nacht wankte er über die Brücken ins Zentrum, geriet in die Malmnskillnadsgatan und sah, daß die Huren von den Straßen verschwunden waren, wah r scheinlich waren sie vor dem Regen geflüchtet, oder aber das Geschäft lief wegen Aids jetzt nicht mal mehr im Sommer. Verzweifelt schleppte er sich nach Norden, bis zum Kirchenpark am Ende der Straße. Dort bibberte unter einem Regenschirm eine einsame klägliche Prost i tuierte, eine türkische Einwanderin, der es so dreckig ging, daß sogar Jari Fagerströms düstere Gestalt sie anzog. Das Mädchen nannte sich Lydia. Jari bot ihr eine feuchte Zigarette an, dann wanderte das Paar unter dem Regenschirm an der Kirche vorbei in einen der nördl i chen Stadtteile. Dort zog das Mädchen ihren Begleiter in ein kleines, kahles Zimmer, in dem man leise schleichen und ebenso leise die Tür schließen mußte. Es fand sich ein Bett und der Schoß der in den Bergen Anatoliens aufgewachsenen, unglücklichen jungen Frau.
20
Der Trunkenbold Jari Fagerström erwachte erst am Nachmittag bei der türkischen Hure irgendwo im Norden Stockholms. Der Raum war klein und öde, er wirkte wie eine Garage und erinnerte an Kake Nyyssönens »Haup t quartier« in der Uudenmannstraße. Jari fand sich auf fleckigen Laken liegend, neben sich eine behaarte, junge Frau, die sich vertrauensvoll an ihn schmiegte. Sie stank nach ranzigem Parfüm und Schweiß. Auf dem Boden lag ein Haufen Unterwäsche.
Jari betrachtete die Schlafende. Hatte dieses schwarzhaarige, stinkende Weib ihn womöglich mit irgendeiner Krankheit angesteckt? Es war anzunehmen. Aids? Fagerströms Stimmung verfinsterte sich, herzlose Kälte erfüllte ihn. Er rüttelte das Mädchen wach, brüllte sie an und verlangte Gesundheitsdaten. Aids, Aids, schrie er, packte das nackte Wesen bei den Armen und schleuderte es aus dem Bett. Sie tastete nach irgendwe l chen Kleidungsstücken, um sich zu bedecken, und versuchte, aus dem Zimmer zu fliehen. Jari stürzte hinterher, packte sie und schlug ihr rücksichtslos auf die Arme und ins Gesicht, trat ihr gegen die Schenkel. Plötzlich fiel ihm ein, daß Aids nicht nur durch G e schlechtsverkehr, sondern auch durch Blut übertragen wird. Er hörte sofort mit der Mißhandlung auf. Weinend sackte die dunkelhaarige Hure in der Ecke zusammen. Fagerström warf sich in seine Kleider und stürzte aus dem Kabuff. Von Bezahlung keine Rede.
Als zitternde Ruine wartete Jari Fagerström in einer Bierkneipe auf die Abfahrtszeit des Schiffes. Sein Magen war durcheinander, ebenso der Kopf. Außer einem kle i nen Rest hatte er auch kein Geld mehr, wo war es nur geblieben? Er fuhr mit der Metro in den Hafen und bestieg den Dampfer.
Jari mußte unbedingt Linnea abpassen. Er bezog P o sten am Eingang, versteckte sich hinter der Treppe und beobachtete mit trüben Augen den Strom der eintreffe n den Passagiere. Das Gedränge ermüdete ihn, seine Augen schmerzten, sein Mund war klebrig. Die Entzug s erscheinungen nach der gestrigen Drogenspritze wirkten noch nach, oder meldete sich schon der Kater nach dem vorhin angetrunkenen Rausch?
Linnea erschien mit ihrem kleinen Koffer, gesund und gut gelaunt, den Blumenhut auf dem Kopf, mit dem zufriedenen Lächeln eines ausgeruhten Menschen. Die alte Frau hatte sich also eine Rückfahrkarte und einen Kabinenplatz besorgt, klar, was sonst, dachte Jari bitter. Er folgte ihr auf das B-Deck und prägte sich die Nu m mer der Kabine ein, 112. Als Linnea hineingegangen war, machte sich Jari auf den Weg zur Bar. Das Schiff fuhr ab, es gab wieder Alkohol, Jaris Befinden besserte sich. Nach dem kalten Bier schien ihm, daß er sich von seiner Gefährtin letzte Nacht vielleicht doch keine Krankheit geholt hatte. Aids war wohl gar nicht so sehr verbreitet? Das Vertrauen in die eigene Gesundheit kehrte allmählich zurück. Jari kam zu dem Schluß, daß statistisch gesehen die Möglichkeit der Ansteckung ziemlich gering war. Wenn man davon ausging, daß jede fünfte Hure mit dem tödlichen Virus infiziert war, und in Stockholm gab es etwa zehntausend Huren, so mußten mindestens achttausend von ihnen gesund sein. Es schien vernünftig anzunehmen, daß die Türkin zu jenen achttausend gehörte. Außerdem hatte sie nach
Weitere Kostenlose Bücher