Die Giftköchin
außen hin gesund gewirkt, ihr waren keine Fleischstücke aus dem Gesicht gefallen, und sie hatte keine stinkenden Flecken am Körper gehabt. Das dürfte ja wohl etwas bedeuten, beruhigte sich Fagerström. Er bestellte Wodka mit Cola und Eis. Ihm schien, er habe Lydia umsonst verprügelt, jetzt erinnerte er sich auch wieder an den Namen des Mädchens. Er hätte sich die Adresse merken sollen, man konnte nie wissen, wann man wieder nach Stockholm kam, dann könnte man seine alte Bekann t schaft besuchen.
All dies war jedoch der reinste Selbstbetrug. Jari F a gerströms Organismus war mit dem HIV-Virus infiziert; das türkische Freudenmädchen hatte die Berufskran k heit ihrer Branche schon vor einem halben Jahr b e kommen, und jetzt hatte die Seuche auch von Jari Besitz ergriffen. Die Immunschwäche war eine düstere Tatsache, doch darum sorgte sich das unwissende Opfer nicht. Es gab dringendere Probleme. Die Sache mit Linnea mußte über die Bühne gehen, die endgültige Lösung wartete auf die Alte, sie hatte nicht mehr lange zu leben. Jari sah sich diesmal vor, er trank langsam, achtete darauf, nicht betrunken zu werden. Gegen Mi t ternacht ging er in die Disco tanzen, in dem dunklen Saal herrschte eine angenehm lockere Stimmung, e i gentlich schien das Leben wieder ziemlich freundlich. Rauschgift brachte er nun nicht mit, aber was tat ’ s, wahrscheinlich war es besser so. Falls ihn in Kataj a nokka der Zoll schnappte, würde er endlos sitzen mü s sen, bloß wegen des bißchen Haschs. In Helsinki ang e kommen wollte er erst ein paar Tage ausruhen und dann ein größeres Ding drehen. Kake sollte die Einze l heiten planen, dann würde die Sache gut werden. Jetzt war noch Sommer und beste Urlaubszeit, man könnte in Kaivopuisto einige Wohnungen leerräumen. Dort würde man garantiert Gemälde und Silber finden, für solche Sachen kriegte man heutzutage mehr als für Stereoa n lagen aus gewöhnlichen Haushalten. Aber erstmal hieß es nüchtern bleiben, bald müßte er Linnea ins Meer werfen. In betrunkenem Zustand würde die Sache w o möglich schiefgehen.
Gegen drei Uhr morgens schlich Jari ins Kabinendeck der Kategorie B. Er klopfte an Linneas Tür, die alte Frau erwachte aus ihrem leichten Schlaf und fragte irgend etwas. Jari verstellte seine Stimme, so daß sie ein wenig schrill klang, und bat die Witwe, die Tür aufzumachen, draußen warte ein alter Freund.
Die alte Dame zog sich an, nahm ihre Handtasche und öffnete die Tür einen Spalt breit. Wer um Himmels willen stand wohl um diese Zeit auf dem Gang? Linneas Kabinenpartnerin erwachte ebenfalls, die alte Dame ging hinaus, damit sie weiterschlafen konnte.
Jari Fagerström verschloß Linneas Mund mit seiner breiten Hand und schob mit der Schulter die Kabinentür zu. Dann hob er die leichte Greisin hoch und schleppte sie halb im Laufschritt zur Treppe. Ein kurzer Blick nach oben und nach unten, der Weg war frei. Jari ran n te mit seiner Last auf das einsame Deck mit den Re t tungsbooten und stellte Linnea an die Reling. Der zierl i che Körper der alten Frau zuckte in seinen starken Armen wie ein verängstigtes Vögelchen. Im Dämmer der Sommernacht erkannte Linnea jetzt, wer sie geholt hatte, Todesangst ließ die zarte, alte Dame erbeben.
Jari keuchte, sein Puls war stark beschleunigt, o b wohl er nur einen kleinen Menschen zu tragen gehabt hatte. Er müßte sich angewöhnen, im Fitneßstudio zu trainieren. Er knurrte Linnea an, sie solle nicht schre i en, nahm die Hand von ihrem Mund und strich sich das Haar aus der Stirn. Linnea flehte ihn an, sie freizula s sen; was sollte das alles, konnte man sich nicht gütlich einigen? Jari zündete sich eine Zigarette an, vergewi s serte sich, daß auf dem Deck keine weiteren Passagiere waren, dann packte er Linnea mit festem Griff unter den Achseln. Sie begriff, daß er sie über die Reling ins Meer werfen wollte.
»Lieber Jari, laß mich meine Medizin einnehmen, ich bitte dich sehr, ich habe Gift!«
Linnea weinte. Sie öffnete mit zitternden Händen ihre Tasche und holte die Injektionsspritze heraus.
Der Mörder wurde aufmerksam. Medizin? Verflixt nochmal, die Alte hatte eine Spritze voll mit Kivistös Drogen, ja, natürlich! Ärzte hatten die Möglichkeit, kostenlos Heroin oder Opium zu benutzen, das hätte man sich denken können. Diese alte Schachtel, ange b lich so vorbildlich und ehrenhaft, nahm also Drogen, scheinheiliges Miststück! Er war es, der hier jetzt eine Spritze brauchte und nicht das alte
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