Die Giftmeisterin
mehr öffnen. In der vergangenen Nacht habe ich mein erstes Kind verloren, das ich einige Monate zuvor in jenem herrlichen Frühling von Quierzy empfangen habe. Wie still ist doch dieser Verlust, denke ich. Abgesehen von meinen Schreien in der Nacht, scheint nichts passiert zu sein. Von drauÃen strömt frisehe
Luft durch das Fenster. Ich rieche das Stroh, das die Bauern der Gegend aufschichten, den neuen Wein einer nahen Kelterei, gärende Ãpfel, Blumen. Ich spüre die Wärme eines Sonnenstrahls, der auf meine rechte Schulter und Gesichtshälfte fällt.
Ich öffne die Augen. Als Erstes sehe ich Arnulf. Er sitzt neben dem Bett. Sein Blick war auf meine geschlossenen Lider gerichtet, die ganze Zeit über. Er lächelt, und das tut gut, so gut... Glücklicherweise fragt er nichts, denn ich möchte nicht sprechen. Ich möchte einfach nur daliegen und ihn ansehen.
Dann bemerke ich die Blumen, die auf meiner Decke verteilt sind. Die letzten Hundsrosen des Jahres leuchten tapfer auf dem grauen Stoff.
»Einige Gefolgsleute des Königs haben mich merkwürdig angesehen, als ich zur Wiese ging und Blumen pflückte«, sagt er. »Dann kam ich auf die Idee, zum Pflücken mein Schwert zu benutzen, und schon waren sie zufrieden.«
Wir lächeln. Und ich denke: Er ist ein guter Mann.
Am frühen Abend, es war schon dunkel, erwachte Arnulf. Es ging ihm nicht besser. Trotzdem bestand er darauf, aufzustehen, um mit uns zu essen. Er legte sich eine Decke sowie ein Fell um die Schultern und folgte mir in die Wohnhalle, wo er sich dicht ans Feuer setzte.
»Ich bekomme vielleicht eine Erkältung«, sagte er.
Vierundzwanzig Stunden nach Einnahme des Trankes ist man noch immer nicht siech, es fühlt sich an, als versuche eine Krankheit nach einem zu greifen, doch man könnte noch davonkommen.
Meine burgundische Küchenmagd hatte mit Brotteig gefüllte,
in Rotwein geschmorte und auf Linsen gebettete Tauben zubereitet, Arnulfs Leibspeise, aber der aus der Küche strömende Duft konnte ihn an jenem Abend nicht begeistern. Lustlos saà er neben der Kohlenwärme und schlürfte Knoblauchsud. Später, beim Essen, hielt er sich zurück. Auch ich aà fast nichts. Obwohl wir zu dritt schwiegen und etwas Bedrückendes auf dieser Stunde lag, war es dennoch ein familiäres Zusammensein, gleichsam ein gemeinsames Trauern. Wieder dachte ich: Es ist das letzte Mal.
Als jemand, ohne vorher anzuklopfen, versuchte, die verriegelte Tür zu öffnen, wusste ich, wer es war und dass der Abend fortan einen anderen, weniger ruhigen Verlauf nehmen würde.
Ich öffnete die Tür selbst.
»Darf ich reinkommen?«, fragte Emma, als sie schon hereingekommen war. Sie zog ihr Mädchen an der Hand hinter sich her. Die Kleine und ich sahen uns eine Weile an. »Oh, das ist Adeltrud«, sagte Emma. »Arnulfs Tochter. Ich dachte, ich bringe sie mit, damit du dich an Kinder gewöhnst. Wir kommen ab jetzt jeden Abend.« Als ich sie ausdruckslos anblickte, sagte sie leicht gereizt: »Du hast gesagt, ich bin jederzeit willkommen.«
»Das ist richtig, Emma. Das habe ich gesagt. Wir essen gerade. Möchtest du dich uns anschlieÃen?«
»Ich dachte, das hättest du mittlerweile verstanden. Du meine Güte, was stinkt hier denn so?«
»Das wird der Knoblauchsud sein, ich rieche ihn schon gar nicht mehr.«
»Ist jemand krank?«
»Arnulf ist...«
Arnulf saà nicht mehr auf seinem Platz. Er war ins Obergeschoss gegangen, erklärte Gerlindis.
»Eben war er noch da«, sagte ich zu Emma. »Er fühlt sich nicht wohl.«
»Etwas Ansteckendes?«, fragte sie erschrocken.
»Woher soll ich das wissen?«
Emma warf mir einen mürrischen Blick zu und zerpflückte das Täubchen. Sie stopfte ein Stück Brotteig, das sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, in Adeltruds kleinen Mund.
»Warst du heute im Frauenhaus?«, fragte sie mich. »Ich habe ja leider keinen Zutritt.«
Mir lagen mehrere Antworten auf der Zunge, aber ich wählte die harmloseste. »Nein, ich war nicht dort. Wieso?«
»Wegen Gersvind.«
»Was ist mit Gersvind?«
»Nichts, ich dachte... Ach, vergiss es einfach.«
»Wenn du mir erklären würdest...«
»Ich sagte, du sollst nicht mehr davon sprechen.«
»Sie ist deine Freundin, nicht meine.«
Emma erwiderte barsch: »Das weià ich
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