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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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muss an Adeltrud denken. Und an das Kind, das ich trage.«
    Â»Du hast recht. Bringt euch drei in Sicherheit, ich bleibe hier.«
    Kaum dass Emma fort war, atmete ich tief durch. Das Haus gehörte wieder mir. Und der Pfalzgraf Arnulf, mein sterbender Gemahl, geliebter Gefährte seit fast drei Jahrzehnten, kehrte in meinen Schoß zurück.

50
    DA ES SICH bei dem Medicus um einen guten Arzt handelte, den Leibarzt des Königs, führte er die Verschleimung der Atemwege nicht auf eine Erkältung, sondern auf einen schweren Befall der Lunge zurück. Er rieb Arnulfs Brust und Stirn mit einer öligen Salbe ein, der Malve, Kamille und Lungenkraut beigemischt war. Das Fieber war nicht so hoch, dass er einen Aderlass durchführte. Er wies mich an, die Salbe in gewissen Abständen aufzutragen, Kamillensud einzuflößen und das Fieber zu überwachen; darüber hinaus empfahl er nur die üblichen, fiebersenkenden Maßnahmen wie Wadenwickel. Ich wunderte mich ein wenig, dass er nicht bei Arnulf blieb, und erfuhr erst später, dass er anderweitig in Anspruch genommen war.
    Â 
    Gerlindis, das gute Kind, kümmerte sich um alles: Sie bereitete den Kamillensud zu, holte weitere Decken und Felle für Arnulf und mich, brachte heiße Suppe, lüftete mehrmals, brachte den Nachttopf weg, holte frisches Wasser, besorgte frische Wickel, nahm die alten Wickel mit... Die meiste Zeit jedoch ließ sie mich mit ihm allein, so wie ich es gerne hatte. Ich saß viele Stunden lang auf dem Stuhl neben dem Bett und rührte mich kaum, die Arme und Beine wurden mir schwer, die Dämpfe der Salbe ließen mich leicht schwindeln, aber ich fühlte mich wohl. Ich war bei ihm. Gelegentlich streckte ich die Hand aus, um Arnulfs
Stirn zu fühlen und sie zu streicheln. Und natürlich erneuerte ich gelegentlich die Salbe, wobei ich sehr behutsam die Brust massierte, die noch warm und lebendig war, obwohl einen Fingerbreit unter der Haut Kälte und Tod am Werk waren.
    Â 
    Arnulf war ganz ruhig, und ich war es auch. Vier-, fünfmal in diesen Stunden gab er mir seine Hand, die ich so lange festhielt, bis er wieder eingeschlafen war, und manchmal auch länger.
    Â 
    Durch die Tierhäute am Fenster drang gelb der Tag herein. Er leuchtete bei jedem Sonnenstrahl und verdüsterte sich mit jeder Wolke. Ich sah nichts von jenem Tag, außer dieser gefilterten, matten Farbe. Sie schien allumfassend, und der Raum, den sie erfüllte, war meine Welt.
    Erinnerungen aus drei Jahrzehnten:
    Â 
    Arnulfs Pferd, das ihn dreizehn Jahre lang trug, muss nach einem schweren Sturz getötet werden; wir weinen gemeinsam.
    Â 
    Ich schneide Arnulf zum ersten Mal die Haare. Danach hat er für eine Weile keine mehr, weil ich sie in den vielen Runden, die ich um ihn herumgegangen bin, kürzer und kürzer geschnitten habe, bis fast nichts mehr da war.
    Â 
    Arnulf und ich schwimmen in einem See, als mich plötzlich ein Fisch beißt. Ich gerate in Aufregung, und Arnulf bringt mich sicher ans Ufer.

    Â 
    Bei der ersten Tunika, die ich ihm nähe, platzen alle Nähte, als er sie anprobiert. Wir liegen vor Lachen fast auf dem Boden.
    Â 
    Bei der Schlacht von Roncesvalles in der spanischen Mark wird die Nachhut eines fränkischen Heeres angegriffen und bis auf den letzten Mann vernichtet. Noch am Vortag ist Arnulf der Nachhut zugeteilt gewesen, steht am Tag der blutigen Katastrophe aber in der Vorhut. Das rettet ihm das Leben. Wir beten viele Stunden lang nebeneinander kniend in einer Klosterkirche und schenken dem Kloster die Hälfte unseres geringen Vermögens.
    Â 
    Königin Hildigard nennt mich im Beisein Arnulfs eine schöne und gutherzige Frau, und sie wählt mich von da an oft zu ihrer Gesellschaft. Arnulf sagt mir, er sei stolz auf mich.

51
    ICH HÖRE NOCH immer das Geräusch seines Atems, gerade so, als läge er hinter mir und sieche dahin, während ich hier schreibe. Es ist gegenwärtig, es ist leise, es ist etwas, das von ihm bleiben wird. Er atmet in einem immer gleichen Rhythmus, der kontemplativ auf mich wirkt, ähnlich wie ein langes Gebet, und mir bei der Innenschau dessen hilft, was mir nun bevorsteht. Ich bin bei den Dämonen angelangt, beim Grauen, beim Zittern und Schreien, beim Wahnsinn.
    Â 
    Das Niederschreiben, das ich vor Stunden begann, um mich im Geschriebenen zu spiegeln, mir klar über mich selbst zu werden und meinen Schatten zu begegnen,

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