Die Giftmeisterin
anprobiert hatte.
»Es bringt Euch nicht weiter, mit mir über Hugo und Mathilda zu diskutieren.«
Ich gab ihm den Brief und riet ihm zur Geduld. Als er ging, wirkte er niedergeschlagen.
49
DIE MITTAGSMESSE HATTE etwas Gespenstisches an sich. Der vordere Teil der Kapelle, wo die Edlen standen, war fast leer. Gerold, Königin Liutgarde, Prinzessin Teodrada, ihre einzige Vollschwester Prinzessin Hiltrud sowie Gersvind blieben aus. Der Tod hatte Hugo und Mathilda weggerafft, und Arnulf war schon von ihm gezeichnet, was allerdings nur ich erkannte. Als ich sah, wie er fror, fröstelte es auch mich.
Im Verlauf des Tages wird die Empfindlichkeit gegen Kälte gröÃer, dann setzt ein Frösteln ein, das mit heiÃen Suden und Wein bekämpft wird.
Gerlindis, Arnulf und ich gingen zu unserem Haus zurück. Ich ahnte, dass es das letzte Mal sein würde, dass wir zu dritt den kurzen Heimweg antraten. Mir ging durch den Kopf, wie wohl alles gekommen wäre, wenn Gerold schon vor drei Jahren das Geheimnis gelüftet hätte, dass Hugo Arnulfs Sohn sei. Dann hätte Arnulf ihn anerkannt, so wie er es dieser Tage vorhatte, es hätte vermutlich keine Emma gegeben und folglich keinen todkranken Arnulf.
»WeiÃt du, wo Gerold sich aufhält?«, fragte ich Arnulf.
»Nein, warum?«
»Nur so. Er ist ansonsten ein braver Kirchgänger.«
»Ich habe ihn zuletzt bei dem Bankett gesehen.« Arnulf wischte sich mit einer ärgerlichen Handbewegung den Schweià von der Stirn. »Stimmt nicht. Ich habe ihn noch
einmal gesehen, als ich vom Bankett heimkam. Ich war einer der Letzten, Gerold war schon eine Weile vor mir gegangen. Ich sah ihn aus einiger Entfernung in der Nähe des Frauenhauses stehen mit - ich glaube, es war Gersvind.«
Mit Gersvind. Wie seltsam.
»Ach«, schimpfte Arnulf, »ich hätte gestern nicht so viel trinken sollen. Zum Glück habe ich das Wichtigste für den Tag erledigt und kann mich eine Stunde lang ausstrecken. In meinem Kopf hämmert es wie in einer Schmiede.«
Kopfschmerzen kommen hinzu.
»Gerlindis und ich werden dir etwas zubereiten«, sagte ich.
Die letzten Schritte bis zum Haus lauschte ich den Geräuschen, die wir beim Stapfen durch den Schnee machten. Ich achtete auf alles um uns herum und prägte mir alles ein: die krächzende Krähe auf dem Dach, die den leichten Schnee aufwirbelnde Windbö, das Gefühl der Kälte im Nacken, die verschwitzten Finger im Pelzmantel, der Atemrhythmus dreier Menschen, das Knarren der Tür...
»Du brauchst etwas Stärkendes«, sagte ich, als wir die Mäntel ausgezogen hatten. »Haben wir noch getrockneten Knoblauch, Gerlindis?«
»Ich lasse die Magd nachsehen. Wie viel möchtest du?«
»Eine ganze Knolle, zerquetscht und in einer groÃen Schale warm aufgegossen.«
Ich brachte Arnulf ins Bett. Natürlich sträubte er sich, denn er war kein wehleidiger Mann. Aber da er seine Arbeit für den Tag erledigt hatte, lieà er es sich schlieÃlich gerne gefallen, umsorgt zu werden, und wurde binnen Augenblicken vom harten Krieger und verantwortungsvollen Graf zum Kind. Von mir dazu aufgefordert, schloss er die Augen und schlief ein. Ich holte eine zweite Decke und
breitete sie vorsichtig, sodass er nicht erwachte, über ihm aus.
Als ich ihn friedlich dort liegen sah, stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich glaube, ich versuchte sogar, mir einzureden, die Tat jederzeit rückgängig machen oder mindestens abmildern zu können, so wie der König, der, wenn er einen Stammesführer oder Herzog besiegt hat, oft Gnade walten lässt. Doch es konnte hierbei keine Gnade geben, für Arnulf nicht, und nicht für mich.
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Als Gerlindis mit dem Knoblauchsud kam, bat ich sie, ihn mit einem Tuch abzudecken und auf eine Truhe neben dem Bett zu stellen. Ich saà auf einem unbequemen Stuhl und behielt Arnulf im Auge. Ãber Grifo wechselte ich kein Wort mit Gerlindis. Ich glaube, ich dachte an diesem Tag nicht mehr an Gerlindis und ihn und den Brief, dachte nicht an das Glück und Unglück der anderen.
»Du siehst müde aus, Tante. Möchtest du dich nicht auch ein bisschen ausruhen?«
»Nein, Gerlindis, danke. Ich bleibe hier. Das gehört sich so.«
Eine fünfundzwanzig Jahre alte Erinnerung: ein Septembermorgen im Jahr des Herrn 774.
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Ich wache auf. Meine Augen sind noch geschlossen. Ich möchte sie nie
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