Die Giftmeisterin
geben können. Ich spürte bereits, wie Arnulf sich langsam aus meinem Körper entfernte, in dem er überall zu finden gewesen war, und wenngleich dieses Gefühl ungewohnt war, empfand ich es nicht als unangenehm.
Gerold, den ich im Grunde sehr mochte, bedrohte meine Hoffnungen. Mir fiel zunächst nichts anderes ein, als mich
von ihm abzuwenden und zur Treppe ins Obergeschoss zu eilen. Doch kaum dass ich ein paar Stufen gegangen war, hatte er mich eingeholt.
»Geht mir aus dem Weg«, herrschte ich ihn an, was ihn jedoch nicht beeindruckte.
»Lasst uns reden, Ermengard.«
Seine Beschuldigung steckte mir in den Knochen, und so erkannte ich nicht das Gütliche in seiner Stimme. Rückzug oder Angriff waren alles, wozu ich fähig war.
Ich versuchte, an Gerold vorbeizugehen, doch er verhinderte es.
»Ich weiÃ, was ich weiÃ, Ermengard. Ich kenne Euch zu gut, besser, als Ihr es für möglich haltet.«
»Gar nichts wisst Ihr. Ihr seid ein Stümper«, schleuderte ich ihm ins Gesicht. »Ihr seid so wenig fähig, eine Untersuchung zu führen, wie es Arnulf schon war.«
»Das sehe ich anders«, erwiderte er.
»Es tut mir leid, wenn ich Eure unübertroffene Selbstsicherheit erschüttere, aber um Euch zu beweisen, wie falsch Ihr liegt, bleibt mir nichts anderes übrig. Mit Gersvind habt Ihr bereits einen groÃen Fehler gemacht.«
Er runzelte die Stirn. »Welchen?«
»Gersvind hat Teodrada nicht vergiftet.«
»Um das zu wissen, müsstet Ihr... Ermengard! Ihr deutet damit doch nicht an, dass Ihr...«
»Macht Euch nicht lächerlich! Ich war dem Kind nicht fünf Jahre lang eine mütterliche Freundin, um es dann umzubringen. Welchen Sinn hätte das?«
»Fest steht, jemand hat ihr Gift gegeben.«
»Dieser jemand war sie selbst.«
»Was sagt Ihr da?«
»Teodrada ist eine zutiefst verwirrte Kindfrau, die mit
einem Bein in einer anderen Welt steht. Seit Jahren phantasiert sie, dass sie umgebracht werden soll, und sie spart niemanden als möglichen Mörder aus. Seit Jahren versuche ich, das dem König zu erklären, aber er hört mich nicht an. Nachdem ihre Mutter starb, wollte ich bei Teodrada bleiben, denn damals nahmen die Phantasien ihren Anfang. Doch der König trennte mich von ihr, und das Ergebnis ist eine Halbirre.«
Gerold akzeptierte meine Erklärung, was nicht schwerfiel, da jeder erkannte, dass Teodrada sich seltsam verhielt. »Nun gut, aber das heiÃt nicht, dass sie sich selbst vergiftet hat.«
»O Gerold, bitte denkt nach. Offenbar hat sie kein tödliches Gift getrunken, sondern eines, das Magenkrämpfe und Erbrechen auslöst. Erbrechen ist jedoch das Gegenteil dessen, was ein Giftmörder bezweckt, da das Gift ausgestoÃen wird. Kräuter, die Magenkrämpfe auslösen, finden sich im Sommer zuhauf: HahnenfuÃ, Efeu, WeiÃwurz, Mauerpfeffer, alles, wovor wir von unseren Müttern gewarnt wurden, als wir noch klein waren. Man muss keine Kräuterkundige sein, um sich selbst zu vergiften. Ich bin sicher, wenn Ihr Teodradas Gemach gründlich durchsucht, werdet Ihr Spuren getrockneter Kräuter finden.«
»Aber - wieso? Ich meine, was verspricht sie sich davon?«
»Sie war nach dem Bankett besonders aufgeregt, weil ich ihr ins Gesicht sagte, dass sie Grifo tot sehen will.«
Damit hatte ich Gerold endgültig verunsichert.
»Ja, Gerold, sie hat die Pfeilspitze im Hof abgelegt, und sie hat den Sattelgurt angeschnitten. Sie gestand es mir, und gleichzeitig zählte sie mich fortan zum Lager ihrer zahllosen Feinde. Sie fühlte sich von allen verlassen, und
ihr fiel nur ein Weg ein, sich der Liebe ihres Vaters zu versichern - des Einzigen, auf den sie noch zählen konnte, der sich aber viel zu wenig um sie kümmerte. Zudem wollte sie einen Schlag gegen ihre Feinde führen. Teodrada vergiftete sich mit einer Dosis, stark genug, sie aufs Krankenbett zu werfen, schwach genug, um nicht lebensbedrohlich zu sein. Natürlich hätte sie sich verschätzen können, aber in Teodradas Logik wäre sogar der Tod kein zu hoher Preis gewesen, um die Aufmerksamkeit Karls zu gewinnen. Man darf keine üblichen MaÃstäbe an sie legen. Sie belastete Gersvind, die schon seit langer Zeit ganz oben auf der Liste derer steht, die ihr angeblich Ãbles antun wollen. Ihre Wahl hätte genauso gut auf mich fallen können. Genau genommen hat sie
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