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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Neugier.
    Ein durch ein bestimmtes Ereignis gewecktes Gefühl bleibt meiner Erfahrung nach nicht auf das Ereignis bezogen, sondern gewinnt Einfluss auch auf andere Lebensbereiche. Ist man verliebt, liebt man die ganze Welt. Hat man sich über eine Sache aufgeregt, ist man plötzlich viel empfänglicher für Wut, und es werden dann auch andere Dinge lästig.

    Bei mir war es die Neugier, die nicht auf Fionee beschränkt blieb. Ich interessierte mich ernstlich für Hugos Ermordung, und ich war bereit, mich damit mehr zu beschäftigen, als es sich für mich schickte.
    Â 
    All diese Gedanken gingen mir auf dem Weg von Gerlindis’ Gemach in die Wohnhalle durch den Kopf. Dort saß noch immer die nähende Berta. Sie ging ihrer Arbeit mit derselben großen Genauigkeit und Konzentration wie eine Gottesbraut dem Gebet nach, weshalb sie mich nicht kommen hörte. Für mich waren das Nähen und Weben niemals mehr als selbstverständliche Pflichten gewesen, doch Berta gab sich ihnen stets voller Inbrunst hin.
    Ich setzte mich auf meinen üblichen Stuhl und beobachtete, wie Berta wieder die Zunge auf die Oberlippe legte, während sie die Nadel durch den Stoff zog, und die Vorstellung, den Mittag mit ihr zu verbringen, war mir plötzlich ein Graus.
    Â»Gerlindis geht es noch immer schlecht«, sagte ich. »Sie hätte es gern gesehen, wenn Grifo ihr den Hof machte. Seine Verhaftung wird das wohl verhindern.««
    Ohne in ihrer Arbeit innezuhalten, seufzte Berta. »Nun ja, so ist das eben.«
    Ich sah sie ungeduldig an. »Du hast gut reden. Deine Töchter sind anständig verheiratet, und deine Söhne sind als Waffenträger oder Mönche versorgt. Aber ich habe da oben eine verzweifelte Nichte, um die ich mich wie um eine Tochter kümmern muss.«
    Â»Du hast recht. Aber je eher sie sich an die Mühen des Lebens gewöhnt...««
    Bertas Halbsätze hatten auf mich stets die Wirkung eines Wasserstrudels, und ich stellte mir die Frage, ob es Berta
Trost spendete, wenn sie andere in ihren Gram hineinzog, oder ob sie unabsichtlich handelte. Beides schließt sich nicht aus. Dass geteiltes Leid ein halbes ist, finde ich jedenfalls widerlegt, wenn ich an die Nachmittage mit Berta denke. Ihr tut ständig etwas weh. Wenn ihr Kopf nicht schmerzt, dann ihr Rücken. Wenn ihr Nacken nicht verspannt ist, so leidet sie unter Krämpfen im Bein. Ihre Haut zeigt mitunter besorgniserregende Ausschläge, ihre Nase ist oft ohne Grund verstopft, und obwohl sie einen gesunden Appetit hat, behält sie bisweilen tagelang nichts bei sich. Ich gebe zu, sie redet nicht über Gebühr von ihren Gebrechen, aber ihre fortwährenden Andeutungen treffen mich mittlerweile empfindlich. Dazu kommt eine innere Haltung bei ihr, die ich als »Seelennot« bezeichne. Was auch immer geschieht, Berta sieht darin einen Vorboten für ein bevorstehendes und unabwendbares Unglück, das man jedoch tapfer zu tragen habe.
    Sie ist eine Märtyrerin, die ihre eigene Peinigerin ist.
    Wer diese Zeilen liest, muss sich fragen, wieso ich Berta meine Freundin nenne und recht viel Zeit mit ihr verbringe, immerhin zwei bis drei Nachmittage in der Woche. Das hat einen einfachen und einen tieferen Grund. Der einfache Grund ist, dass Berta stets gut zu mir war. Sie schenkte der Sattlerstochter freundliche Beachtung, als die anderen Damen von edlem Geblüt nur hochmütiges Grinsen für mich übrighatten; sie pflegte mich während eines Fiebers, an dem ich vor sechs Jahren fast gestorben wäre, drei ganze Wochen lang; und ich habe sie noch nie, nicht ein einziges Mal, schlecht über jemanden reden hören. Der tiefere Grund ist, dass Bertas körperliche und seelische Gebrechen meiner Meinung nach auf ihren Gemahl Burchard zurückzuführen sind, und von mir selbst weiß ich, wie sehr ehelicher
Kummer sich auf mein ganzes Befinden auswirkt. Ich möchte Arnulf nicht mit Burchard gleichsetzen, der kein gutes Wort an seine Frau richtet und sie in Grund und Boden schreit, wenn ihm danach ist, und der sie schlägt. (Berta versucht, die Flecken und Blutergüsse vor mir zu verbergen, aber ich erkenne die Zeichen, weil ich in einem Elternhaus großgeworden bin, in dem meine Mutter einoder zweimal im Jahr verprügelt wurde.) Dergleichen hat Arnulf nie getan. Und doch litt ich - und leide bis heute - darunter, dass er nie auch nur mit einem einzigen Wort versucht hat, mir

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