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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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die Belastung und die Selbstvorwürfe zu nehmen, ihm keinen Sohn, überhaupt kein lebensfähiges Kind geboren zu haben. Er beschuldigte mich nicht, er entlastete mich nicht. Er schwieg.
    Insofern empfand ich Berta als Leidensgenossin, wenngleich sie von ihrem Leid weit schlimmer betroffen war als ich von meinem. Ich fühlte mich ihr also durchaus verbunden. Trotzdem kam ich mir in ihrer Anwesenheit vor, als müsse ich mit einer schweren Eisenkugel durchs Leben gehen.
    Wieder einmal betrachtete ich sie eingehend. Sie war acht Jahre älter als ich, Anfang fünfzig und war weder darauf aus, reizvoll zu erscheinen, noch, daran zu erinnern, dass sie es einmal gewesen war. In gewisser Weise war sie die Zukunft, vor der ich mich fürchtete: Leben heißt mutlos werden.
    Â»Wieso fängst du nicht an zu nähen?«, fragte Berta.
    Â»Ich glaube, ich bin zu durcheinander.««
    Â»Doch nicht wegen Gerlindis, oder?«
    Â»Wegen Gerlindis, Grifo und Hugo. Ich habe dir nach der Frühmesse doch erzählt, dass ich es war, die Hugo gefunden hat. So etwas passiert einem schließlich nicht andauernd.««

    Â»Wenn du auch nachts vor die Tür gehst...«
    Das sagte sie, als wäre es ein Codex, dass Frauen, wenn sie nachts vor die Tür gehen, über Leichen stolpern.
    Betrübt blickte ich auf mein Nähzeug. Nicht mehr lange, und ich müsste damit zur Königin aufbrechen, und bei ihr könnte ich mir nicht erlauben, es unbeachtet liegen zu lassen.
    Aber vielleicht war von der Königin etwas über Hugos Tod zu erfahren, das ich noch nicht wusste.

9
    Â»HUGO GING BISWEILEN des Nachts ins Frauenhaus der Pfalz«, sagte Königin Liutgarde, »und zwar ohne dass seine Pflichten als Offizier der Leibwache es erfordert hätten.««
    Liutgarde besitzt viele Tugenden: Sie ist freundlich, aufgeschlossen, gebildet - verschwiegen ist sie jedoch nicht. Ich schätze, dass drei Viertel von dem, was der König ihr erzählt, am nächsten Tag am Hof die Runde macht, und es würde mich nicht erstaunen, wenn der kluge Karl sich diese Eigenschaft seiner Frau bisweilen zunutze macht, um Gerüchte in die Welt zu setzen. Aus jeder seiner drei Königinnen hat er - über deren Schönheit hinaus - noch andere Vorteile zu ziehen vermocht: Sie schenkten ihm entweder viele Kinder oder bedingungslose Liebe, eine Erweiterung seines Machtbereiches oder nächtliche Beglückung. Liutgarde ist eine Königin für Karl im Alter. Er braucht eine unkomplizierte Frau, deren Gefühle für ihn nicht überschwänglich sind und der er keine überschwänglichen Gefühle entgegenbringen muss. Für alles andere hat er seine Konkubinen. Liutgardes umfassende Bildung macht sie zum Juwel des Hofes, und zugleich trägt sie in ihrer Redseligkeit die geheimen Wünsche des Königs weiter, sodass die Gesandten anderer Länder diese der Welt übermitteln können. Dies enthebt Karl der Notwendigkeit, Forderungen stellen zu müssen, und versetzt ihn in die günstige Lage, die Gaben der Welt bescheiden anzunehmen.

    Im Fall Hugos allerdings sprach Liutgarde wohl nur für sich, denn der König hatte keinen Vorteil von Gerüchten, die das Leben und Sterben eines Wachoffiziers betrafen.
    Liutgarde sagte: »Er wurde dabei erwischt, wie er sich des Nachts dort aufhielt. Man fand das ganz und gar unpassend.«
    Wenn Liutgarde ihre Sätze mit »man« bildete, war damit der König gemeint. Und dass der König Hugos Verhalten missbilligte, lag auf der Hand. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle in meinem Bericht konkreter werden, weil ich nicht weiß, wer ihn lesen wird. Es gibt zwei Arten von Frauenhäusern - genau genommen gibt es drei, doch jene dritte Art der Häuser, wo die Frauen fremde Männer über Nacht zu sich bitten, lasse ich außer Acht. Die Frauenhäuser sind zugleich Behausungen und Arbeitsstätten für Witwen und Verstoßene und unverheiratete Waisen, die sich nicht anders zu helfen wissen. In den Frauenhäusern erhalten sie karge Nahrung und schlechtes Obdach, als Gegenleistung dafür verrichten sie den größten Teil des Tages anstrengende Arbeiten, zumeist Weben. Von einem solchen Frauenhaus ist hier natürlich nicht die Rede. Gemeint ist stattdessen das Frauenhaus der königlichen Pfalz. Dort sind die Prinzessinnen und königlichen Konkubinen untergebracht. Derzeit leben sie noch in einem bequemen

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