Die Giftmeisterin
Provisorium, doch sobald die Pfalz fertiggestellt ist, werden sie ein stattliches Heim bewohnen.
Ich zog die Nadel durch den Stoff, ohne darauf zu achten, ob ich es richtig machte. »Weià man denn, Euer Gnaden, was er im Frauenhaus getan hat und« - ich vermied die Umschreibung mit wem - »bei wem er sich aufgehalten hat?«
»Das ist mir leider nicht bekannt, und ich bezweifle, dass
man mehr weiÃ. Der König selbst war es, der ihn im Frauenhaus erwischte und zur Rede stellte, aber Hugo hat abgestritten, dass dort etwas vorgefallen sei. Man bat mich, diskret darauf zu achten, ob eine der Prinzessinnen oder Konkubinen schwanger würde. Glücklicherweise war das nicht der Fall.««
»Ich hörte auch, Hugo sei in den letzten Monaten einige Male stark betrunken gewesen. Ist das wahr, Euer Gnaden?«
»Es ist wahr. Man wusste nicht mehr, was man mit ihm anfangen sollte.«
Das hieà also, dass der König von den Leistungen Hugos als Offizier der Leibwache enttäuscht war. Was umso schwerer wog, da Hugo noch vor einem halben Jahr dafür im Gespräch gewesen war, schon bald den Oberbefehl über die königliche Leibwache anzutreten. Der derzeitige Hauptmann Burchard, der Gemahl meiner Freundin Berta, sollte in Kürze eine eigene Grafschaft erhalten. Da war Hugo - ein bewährter junger Mann von herausragendem Ruf als Kämpfer - der natürliche Nachfolger gewesen, zumal er auch bisher schon nach Burchard die zweite Position in der Hierarchie der Wache innegehabt und während Burchards Abwesenheit den Befehl geführt hatte.
»Dass nun ausgerechnet Grifo seinen Bruder umgebracht hat«, sagte die Königin, »trifft den armen Gerold gewiss besonders hart. Auf diese Weise verliert er zwei Söhne mit einem Schlag. Er war so stolz auf beide. Zudem ist er seit Jahren Witwer, sucht sich keine neue Frau... Er wird einsam sein.«
»Grifos Schuld ist meines Wissens noch nicht erwiesen, Euer Gnaden.««
»Gott gebe, er war es nicht. Andererseits...« Sie hielt inne und nähte.
Das war als Aufforderung gedacht nachzufragen. »Ihr wisst etwas, Euer Gnaden?«
»Da Ihr mich so bedrängt, Gräfin... Nun ja, Euch kann ich es sagen. Eine im Streit begangene Tat zwischen Brüdern wäre - wie betrüblich für Gerold auch immer - eine gefällige Lösung.« Sie holte noch einmal tief Luft und stieà hervor: »Der Papst kommt hierher.«
Das war eine verblüffende Nachricht, die jedoch noch verblüffender wurde, wenn man - wie ich - nicht gleich verstand, was das eine mit dem anderen zu tun hatte. Was wäre an einem Mörder namens Grifo gefällig, weil der Papst nach Aachen kam? Es mochte ja sein, dass diese beiden Ereignisse in Liutgardes Kopf eine Verbindung hatten, doch mir erschloss sich diese keineswegs.
»Das ist auch der Grund«, ergänzte Liutgarde, »weshalb Burchard vor einigen Tagen mit einer kleinen Schar der Leibwache aufgebrochen ist. Er soll dem Heiligen Vater entgegenreiten und ihn nach Aachen begleiten. Wenn der Winter es nicht verhindert, wird Leo III. kurz vor Weihnachten eintreffen und die Messe halten.««
»Das wäre ein groÃer Augenblick«, stimmte ich begeistert zu und fuhr in bescheidenem Ton fort: »Und - was hat das mit Grifo zu tun, Euer Gnaden?«
»Nun, meine Liebe, wenn Grifo nicht der Täter wäre, müsste man fürchten, die Tat stehe im Zusammenhang mit dem baldigen Eintreffen Seiner Heiligkeit. Hugo war der zweite Mann der Leibwache, er ist einer der Verantwortlichen für die Sicherheit am Hof.««
»Das schon, aber der Papst verfügt über eine eigene Leibwache.«
Sie seufzte wie über einen Trauerfall. »Ein Aufstand hat ihn beinahe das Leben gekostet. Man stelle sich vor: Der
Heilige Vater musste barfuà und beinahe nackt aus der Stadt des Apostels Petrus fliehen.«
Es nahm kein Ende mit den schlimmen Nachrichten. Bedachte man, dass der Hof und das fränkische Reich mehrere Jahre lang von groÃen Schicksalsschlägen verschont geblieben waren, häuften sie sich auffällig in diesen letzten Tagen des Jahrhunderts. Ein gestürzter Papst, ein Ermordeter im Umkreis des Königs - schlechte Omen allenthalben. Normalerweise hätte ich über die Ungeheuerlichkeit eines Aufstandes gegen den Stellvertreter Christi und über dessen bevorstehende Zuflucht in der Pfalz zu Aachen nachgedacht, aber es kam eben alles
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