Die Giftmeisterin
Huflattich, Sauerampfer, Fuchsschwanz, Küchenschelle, Pimpernelle und
Lieschgras, dazwischen ragen Königskerzen und rote Malven empor; die tausenderlei Vögel, die den Himmel bevölkern; Blütenduft; die Oise, die durch lichte Laubwälder flieÃt. Herb: der böige Wind, der rasche Wechsel von Sonne und Wolken; die Menschen, die sogar in dieser Jahreszeit der Hochzeiten und Verlobungen nicht mehr sprechen als unbedingt nötig; der oft ganze Tage anhaltende Morgennebel.
Jeden Tag machen wir einen solchen Spaziergang. Von der Pfalz Quierzy, wo der König derzeit Hof hält, reiten wir zu zweit auf einem Pferderücken zur Oise und gehen, das Ross am Zügel hinter uns herführend, eine Stunde spazieren. Manchmal überrascht mich Arnulf, sei es, dass er zwei Ziegenfelle sowie Käse und einen Schlauch Wein aus seinen Satteltaschen hervorholt und wir uns am Fluss niederlassen, oder sei es, dass er mir eine schmucke Vogelfeder schenkt, die ich mir ins Haar oder ans Kleid stecke. Er besitzt nur wenig Geld. Als zweiter Sohn eines Gutsbesitzers kann er sich glücklich schätzen, dass sein Vater ihm jene Ausrüstung gekauft hat, die nötig ist, um als Waffenträger in den Dienst des Königs treten zu dürfen. Aber er ist vierundzwanzig Jahre alt und hat noch kein nennenswertes Kommando erhalten. Kaum, dass der König ihn mit Namen kennt. Und was mich angeht, so bin ich Seiner Gnaden noch nicht einmal vorgestellt worden. Wir sind Höflinge von geringem Rang.
An jenem Tag ist die Ãberraschung von ganz anderer Art. Statt eines Käses oder einer Feder zaubert Arnulf einen König hervor. Karl und sein Gefolge kommen auf dem Rückweg von der Jagd an der Oise vorbei. Zwei Dutzend Rösser, gut dreiÃig Mann zu FuÃ, eine Hundemeute
und ein Proviantwagen. Ich sinke auf die Knie und senke demütig den Kopf in der Erwartung, der König werde vorbeireiten.
Doch er hält an und steigt ab. Ich schlucke. Was soll ich tun? Was tut Arnulf? Nichts, er kniet wie ich im Gras. Ich blicke auf die königlichen Schnürstiefel, dann auf die mit Wickelbändern verkleideten Beine, die Hose aus weiÃem Linnen, das lederne Wehrgehänge mit dem edelsteinbesetzten Schwertgriff, die hüftlange, mit blauer Seide bestickte Tunika, den blauen Mantel um die Schultern, das rasierte Kinn, den üppigen Oberlippenbart - das Gesicht eines DreiÃigjährigen, dem man die Macht ansieht, den goldenen Stirnreif, der die langen dunkelblonden Haare umschlieÃt. Wie ein Monument ragt der König vor mir auf.
»Steht auf, ihr beiden«, sagt Karl und wendet sich an Arnulf. Er spricht mit ostfränkischer Mundart. »Nun, mein junger Freund, das erklärt, weshalb du bei manchen meiner Jagden fehlst. Wie ich sehe, hast du guten Grund.« Er wendet sich an mich und wechselt in die westfränkische Sprache: »Du hast ihm den Kopf verdreht, weiÃt du das?«
Es sind die ersten Worte, die der König an mich richtet, und erst jetzt fällt mir auf, wie unerwartet hoch seine Stimme ist angesichts dieses Körperbaus.
»Das lag nicht in meiner Absicht, Euer Gnaden.««
Der König lacht. Er wendet sich an seine Edlen, die nun ebenfalls lachen.
Ich erröte. Arnulf lächelt.
Der König sagt: »Wie du schwindeln kannst, mein Kind! Selbstverständlich ist es deine Absicht, so wie es die Absicht und der Erfolg aller Frauen ist, uns Männern
den Kopf zu verdrehen. Wenn ihr das nicht tätet, würden wir euch nicht lieben.«
Ich schweige lieber, um nicht noch mehr Torheiten von mir zu geben.
»Seid ihr verheiratet?«, fragt der König.
»Ja, Euer Gnaden«, antwortet Arnulf. »Seit zwei Jahren.«
»Eine Ehe vor Gott?«
»Ja, Euer Gnaden.«
»Kinder?«
»Noch nicht, Euer Gnaden.««
»Dann beeilt euch. In acht Wochen brechen wir auf, dann hat das süÃe Leben vorerst ein Ende.« Er wendet sich wieder an mich. »Dein Gemahl gehört ab sofort zu meiner Scara. Nur die Besten erhalten von mir das Privileg, in der schweren Reiterei zu dienen. Ich beglückwünsche dich zu deinem Mann, und dich, Arnulf, zu deiner Frau.«
Er wendet sich ab, steigt auf den Rücken seines Schildknappen und von dort auf sein Ross. Wir sinken erneut auf die Knie, der König grüÃt mit einer Handbewegung, und die Jagdgesellschaft aus Edlen, Prälaten, Beamten, Vasallen, Fährtensuchern, Hundeführern,
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