Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
werfe ich einen Blick zur Stirnseite der Tafel, wo neben dem König seine Königin Hildigard sitzt, eine siebzehnjährige Suebin von großer Schönheit, die wenig Aufhebens um sich macht. Sie hat König Karl einen Prinzen gleichen Namens sowie Prinzessin Adalheid geschenkt, und nun ist sie im dritten Jahr der Ehe zum dritten Mal schwanger. Karl und Hildigard sind eng miteinander verbunden, das spüre ich, und Hildigards an den Augen ablesbares Glück fällt doppelt stark auf mich zurück, die ich dasselbe fühle wie sie. Einmal begegnen sich unsere Blicke, da lächelt Hildigard, und ich glaube, dass wir in diesem Moment eins sind, sie, die Königin Europas, und ich, die Gemahlin des Reiters Arnulf.
    Â»Wieso siehst du immerzu zur Königin?«, fragt Arnulf,
lächelt und stößt mich an. »Das schickt sich nicht.««
    Â»Ich glaube nicht, dass sie sich davon gestört fühlt.«
    Â»Warum siehst du sie an?«
    Â»Weil sie so schön ist.««
    Â»Du bist mindestens ebenso schön.««
    Â»Ich beneide sie.«
    Â»Weil sie reich ist?«
    Â»Ja, an Kindern.««
    Â»Das wirst du auch bald sein.««
    Â»Meinst du?«
    Â»Ganz sicher.«
    Leichthin sage ich: »Ohne Kinder könnte ich nicht sein.«
    Er nickt. »Ohne Söhne könnte ich nicht sein.«
    Als wir zur Ruhe kamen, und später, als wir erwachten, waren unsere Blicke verschleiert von Zärtlichkeit, aber zugleich war ein Schmerz darin sichtbar, wie man ihn nur fühlt, wenn etwas Wunderbares bedroht ist. Es tut sehr weh. Es tut weh zu erkennen, was einst gewesen, was verloren gegangen war, was man gesucht hat all die Jahre, was man wiedergefunden hat und was erneut verloren zu gehen droht. Würde die Nacht etwas verändert, wiederhergestellt haben? Wir wussten es nicht. Alle Gefühle, die wir jahrzehntelang langsam gewonnen und langsam verloren hatten, waren in der Dunkelheit wie ein Sturm über uns hinweggebraust, und die Welt war aus den Fugen geraten, seine nicht weniger als meine. Wer hätte gedacht, was in fast dreißig Jahren Ehe steckt: mühsam errichtetes Vertrauen, gemeinsam durchlebte Hoffnungen und Enttäuschungen, die im Regen eintöniger Tage verglimmende Liebe, die
immer wieder angefachte Glut der Liebe, all die Verluste an Kindern, an kleinen Leben, all die winzigen Brüche, schließlich auch sie, die Konkubine, die große Wunde. Es war an jenem Morgen alles vorhanden, jedoch nicht mehr am richtigen Platz. Ich hatte mit jener Nacht Arnulfs Ordnung zerstört, die eine vertraute, nicht allzu leidenschaftliche und leider kinderlose Gemahlin einerseits und eine schöne, gebärende Konkubine andererseits vorsah. Und Arnulf hatte mit jener Nacht meine Ordnung zerstört, meine Unterwerfung unter die Gegebenheiten, meine gehorsame Duldung der von Arnulf geschaffenen Fakten, die mein Schutzwall gewesen war vor allzu großer Liebe zu ihm und die mich daran gehindert hatte, Emma zu hassen.
    Nun liebte ich Arnulf wieder mit der alten Macht. Und Emma - ich hasste sie zum ersten Mal.

14
    ICH BEOBACHTETE DIE Gesichter der Anwesenden. Hugos Grablegung erfolgte unter Teilnahme des ganzen Hofes. Als Sohn des königlichen Seneschalls, aber auch als bewährter Offizier im Krieg gegen die Sachsen und als zweitem Befehlshaber der Leibwache stand ihm diese Ehrung zu.
    Grifo sah gezeichnet aus, wenn nicht vom Tod seines Bruders so von der Schuld, die er - ob zu Recht oder Unrecht - mit sich trug. Auf den bislang glänzenden Ruf des jungen Mannes war ein dunkler Schatten gefallen, und wieder einmal zeigte sich, was ich schon so oft habe beobachten können, nämlich dass ein einziger schlimmer Verdacht ausreicht, um hundert gute Taten aufzuwiegen. Grifos herausragende Leistungen im Krieg gegen die Awaren, seine Tapferkeit, sein für sein Alter bemerkenswertes taktisches Geschick in der Schlacht - es war ihm nicht mehr anzumerken. Er hatte stets einen leicht listigen Gesichtsausdruck gehabt. (Vielleicht ist listig das falsche Wort, es hat so einen üblen Beiklang. Schalkhaft oder schelmisch wiederum hört sich eher nach einem Narren an. Was ich beschreiben will, ist, dass Grifos Klugheit sich mit Keckheit gepaart hatte und dass diese Mischung sein Aussehen prägte.) Er hatte ungewöhnlich helle Augen, die im einen Moment wunderbar strahlen, im anderen Moment hochkonzentriert blicken konnten; hohe Wangenknochen, ein ausgeprägtes

Weitere Kostenlose Bücher