Die Giftmeisterin
in der Leibwache diente und sich Lorbeeren auf den Schlachtfeldern verdient hatte, den jüngeren Bruder als Vorgesetzten geben wollte. Er sah sich an der Reihe, nicht Grifo. Als er in der Mordnacht mal wieder angetrunken war, stellte er Grifo zur Rede, es kam zu Handgreiflichkeiten, in deren Verlauf Grifos jugendliches Temperament mit ihm durchging. So könnte es gewesen sein.
Allerdings hatten Hugos Eskapaden, die zur Entscheidung des Königs geführt hatten, bereits im Sommer stattgefunden. Zuerst die »Vorfälle« im Frauenhaus, im Herbst dann die Trunkenheit - irgendetwas hatte Hugos Leben durcheinandergebracht, und mich störte, dass das bei Arnulfs Untersuchung keine Rolle spielte.
»Hat Grifo denn gestanden?«, fragte ich, obwohl ich wusste, dass das nicht der Fall war, denn ansonsten hätte Arnulf es mir längst erzählt. Wenn es um Erfolge geht, sind Männer schnell mit ihrer Geschichte zur Hand.
»Nein, und das macht es mir schwierig. Allein auf der Grundlage eines Grundes für die Tat kann ich kein Urteil fällen. Es gibt keinen Zeugen, und nichts bringt Grifo mit dem Ort des Verbrechens in Verbindung. Jeder andere hätte es getan haben können.««
»Vielleicht hat es ein anderer getan.« Ich wäre im Sinne
von Gerlindis beruhigter gewesen, wenn Arnulf seine Ermittlungen ausgedehnt hätte, zugleich hätte es mich ein bisschen enttäuscht, denn meine Nachforschungen bereiteten mir Freude.
Arnulf biss vom Rehrücken ab, grübelte eine Weile, zuckte mit den Schultern und sagte: »Möglicherweise. Ich werde mir mal Grifos Quartier vornehmen. Kann doch sein, dass ich da etwas finde.«
»Eine gute Idee«, pflichtete ich ihm bei und sah mich und ihn für kurze Zeit als Gespann, das sich gemeinsam an die Lösung eines Rätsels machte.
Ich wurde mutig und schlug vor: »Morgen wird Hugo zu Grabe getragen, und das wäre eine gute Gelegenheit, Grifo auf freien Fuà zu setzen - wenigstens vorläufig. Du verstehst schon. Bis dein Verdacht sich erhärtet.«
Wieder zuckte er nach einer Weile des Nachdenkens mit den Schultern. »Meinetwegen. Aber ich habe noch nicht aufgegeben. Ich kriege ihn, das sage ich dir.««
Ich beugte mich über den Tisch und streichelte seine bärtige Wange.
»Ich bin froh, dass du mein Gemahl bist und nicht...« Ich sprach es nicht aus, aber ich dachte: Burchard. Bertas Gemahl hätte sie längst zusammengestaucht und gezüchtigt, wenn sie es gewagt hätte, ihm Ratschläge bezüglich seiner Pflichten zu erteilen.
»Und nicht?«
»Irgendein anderer«, sagte ich. Mein Herz quoll an jenem Abend über vor Glück. Es füllte mich vollständig aus, stand mir im Gesicht, und Arnulf sah es und wurde seinerseits von einem Glücksgefühl erfasst. Diese Wirkung eines guten Gefühls, das sich durch gegenseitige Blicke und Berührungen verstärkt, gehört zum GröÃten, was ich je erlebt
habe. Einige Male im Leben wurde mir die Gunst eines solchen Augenblicks zuteil, der so etwas wie ein aufgestoÃenes Fenster in eine andere Welt für mich bedeutet.
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In jener Nacht war es wie früher, in den Nächten des Anfangs, der Kinderzeugungen, den Nächten der Flammen. Er holte mich in sein Gemach, ich sammelte Stroh und schichtete es auf dem Boden zu einem Bett. Er holte Wein. Wir zogen uns aus, tranken... wir berauschten uns am Wein und an unserer Nacktheit. Eingehüllt in warme Pelze, entfernten wir die Tierhäute vom Fenster, atmeten die nasskalte Luft ein, blickten zu den Sternen, die vom nahenden Fest des geborenen Heilands kündeten, und jeder von uns lieà die Vergangenheit aufleben - nicht mit Worten, die Liebkosungen waren unsere Sprache.
Die Lippen, die stumm blieben, die Finger, die Kreise zogen auf der Haut des anderen, die Kraft seiner Muskeln, der Duft des Ãls, mit dem ich mich eingerieben hatte, die gegenseitige Zurschaustellung unserer Reize, all das brachte ferne Jahre zurück.
Eine fünfundzwanzig Jahre alte Erinnerung: der glückliche Frühling von Quierzy und die unsichtbaren Vorboten des Verfalls.
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Ich gehe an Arnulfs Seite an der Oise entlang, die, in den Ardennen entspringend, viel weiter südwestlich in die Seine mündet. Der Frühling in der Picardie ist von einer Schönheit, die sich nicht entscheiden kann, ob sie herb oder lieblich sein will. Lieblich: Wiesen voll von Labkraut, Anemonen,
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