Die Giftmeisterin
gewissermaÃen erschlichen, es basierte auf meinen vertrauten Beziehungen zu Eugenius, Arnulf und Teodrada sowie auf der Gunst, die Mathilda mir mit ihrem Geständnis erwiesen hatte. Dies berücksichtigend, war ich bereits weit gekommen. So viel war gesichert: Teodrada und Mathilda forderten Hugo für sich und trauten einander nicht über den Weg.
Meine Kühnheit äuÃerte sich darin, dass ich mich sofort, also bei Einbruch der Dämmerung, allein ins Dorf begab, um Fionee aufzusuchen. Das war gegen jedes Protokoll. Doch die Kette, die ich in Mathildas Schatulle gesehen hatte, bedeutete eine spannende Verbindung von Personen, ein Quadrat: Mathilda war offensichtlich bei Fionee gewesen, Eugenius hatte ich aus Fionees Haus kommen sehen, Mathilda und Eugenius waren beide Römer, und beide hatten reichlich Zeit mit Hugo verbracht. Natürlich bewegte
ich mich in einem verwirrenden Labyrinth, doch etwas anderes, als die Fäden aufzunehmen, denen ich begegnete, blieb mir nun einmal nicht übrig.
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Die Sonne war hinter den Wäldern verschwunden und tauschte das helle Grau des Tages gegen ein Dunkelgrau ein. In Fionees engem Haus leuchteten überall kleine Lichter und machten diese seltsame Welt noch fremder. Die Ketten aus polierten Steinen nahmen das Licht auf und strahlten wie tausend winzige Sonnen, die Gewebe filterten es und veränderten seine Farbe, die KupfergefäÃe bekamen eine sakrale Wirkung. Alles schien verwandelt, so wie ein Wald sich beim Wechsel von Sonne und Mond verwandelt. Düfte stiegen auf, unbekannt und angenehm.
Fionee war nicht überrascht, wohl aber erfreut, dass ich sie zu dieser Stunde besuchte. Die Alte saà bei ihrem Kohlefeuer, die beiden waren unzertrennlich.
Ich erhielt von der Alten einen Becher mit Sud in die Hand gedrückt, den ich lieber probiert hätte, wenn er von Fionee gekommen wäre. Ich mochte die Alte nicht, obwohl sie nichts sagte und fast nichts tat. Aber ihr Blick war so unsagbar alt, wie aus vorchristlichen Zeiten, dass mir schauderte. Es gelang mir nicht, die Alte als ein normales menschliches Wesen zu betrachten, das aÃ, trank, liebte - und starb. Ihre Augen, so stellte ich mir vor, würden noch in hundert Jahren Frauen wie mich verunsichern, ihre knochigen Hände noch in zweihundert Jahren einen Sud zubereiten, ihr Rücken sich noch in fünfhundert Jahren vor einem Kohlefeuer krümmen.
Da Fionee trank, trank ich auch. Ãberhaupt bemerkte ich, dass ich viel von dem, was sie tat, nachahmte, so als wäre ich ein aus der Zeit gerissenes Spiegelbild. Sie nahm auf einem
Schemel am Feuer Platz - ich ihr gegenüber. Sie führte den Becher zum Mund, blickte ihr Gegenüber an - so wie ich. Neulich hatte ich sogar - ohne Fionee schon zu kennen - die gleiche Tat wie sie begangen, als ich dem Jungen half. Einerseits gefiel mir diese Ãhnlichkeit unseres Tuns, andererseits machte sie mich auch ein bisschen ärgerlich. Ein seltsam gespaltenes Gefühl.
In dem Moment, als sie nach einer der von den Deckenbalken herabhängenden Ketten griff, holte ich jene Kette hervor, die sie mir verkauft hatte, und begriff, dass wir schon wieder dasselbe taten. Diesmal lächelte ich.
»Verkaufst du viele dieser Ketten?«, fragte ich.
»An jeden, der mich braucht.«
»Inwiefern brauche ich dich?«
Sie schwieg. Das beunruhigte mich. Was konnte Fionee von mir wissen, was ich nicht wusste? Aber ich wusste, dass ich Fionee nicht brauchte.
»Wieso antwortest du nicht?«
»Weil ich heute noch keine Antwort darauf habe. Ich denke darüber nach, und ich verspreche dir zu sagen, was du wissen möchtest, sobald ich es weiÃ, aber es kann sein, dass ich es nie wissen werde.«
»Entschuldige, aber was du da erzählst, klingt eigenartig. Du solltest wissen, was du tust, bevor du es tust, und nicht erst hinterher darüber nachdenken, warum du es getan hast.««
»Sollte ich das?«
»Ja.««
»Tatsächlich ist es doch so, dass vieles von dem, was wir sagen und tun, aus einem groÃen, dunklen Unbekannten kommt. Wir werden in diese Welt hineingeworfen, und unser Verstand und unsere Gesinnung prägen sich jenseits unseres
Einflusses aus. Wir wachsen heran und merken nicht, wer wir werden, wir merken nur, dass wir werden, und unsere Gesinnung erscheint uns als das Normalste von der Welt, sodass wir sie niemals hinterfragen. Nur manchmal... Du kennst sie gewiss auch, die
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