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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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meiner Kontrolle entzog. Er lebte wie ein Wesen in mir, verbunden mit Herz und Kopf und Adern, und ergoss unaufhörlich, unnachgiebig sein Gift in meinen Körper.
    Â»Hexe«, sagte ich. »Lügnerin, Hexe.« Mein Hass richtete sich gegen Fionee, gegen die Frau mir gegenüber, die mir so
fremd, so vertraut war, in die ich nicht hineinsehen konnte, obwohl das, was sie sagte, mir durchaus bekannt vorkam und ich es verstand, als habe man es mir bereits irgendwann einmal erzählt.
    Sie warf einen Blick zu der Alten neben mir, diese nickte, dann nickte Fionee, sah wieder mich an, stand auf und ging um das Feuer herum, ohne mich aus den Augen zu lassen. Unmittelbar vor mir kniete sie sich nieder, sodass unsere Augen wieder auf gleicher Höhe waren und eine Linie von ihr zu mir bildeten, von mir zu ihr.
    Und mein Hass fiel zu Boden. Er zerbrach wie eine Fälschung.
    Â 
    Ich weinte. Die Momente zwischen dem Verlust meines Hasses und dem Aufsteigen der Tränen in meine Augen habe ich nicht gezählt. Fionee und ich waren nah beieinander, beinahe wie Liebende.
    Ich erinnere mich, dass sie irgendwann sagte: »Du.«
    Â»Ich«, sagte ich. Und fügte nach einer Weile hinzu: »leide.«
    Â»Ja«, sagte sie, »so viel steht fest.«
    Â 
    Ich erzählte. Was mir in Gestalt der Sprache aus dem Mund kam, war Gülle, stinkende Ablagerungen alter Traurigkeit, alten Ärgers. Alle Krankheiten und Schmerzen dieser Welt befanden sich darunter: Der Schlag von meinem Vater in mein Gesicht, nachdem ich die kostbaren Äpfel in den Fluss geworfen hatte, um zu sehen, wie sie davontreiben; die Worte des Jungen, der mich eine fette Wachtel genannt hatte, weil ich ihm gefallen wollte. Was hatten die Tränen jener Tage mit den gegenwärtigen Tränen zu tun? Ich ahnte, dass die einen zu den anderen gehörten, obgleich mein
Verstand mich dumm nannte. Dann meine vier Kinder. Das erste, das drei Monate vor dem vorhergesagten Geburtstermin zur Welt kam; das zweite, das ich verlor, noch bevor mein Bauch sich rundete; das dritte, das ich zu Anfang der Woche gebar und zum Ende der Woche begrub. Und das Vierte... Dieses Kind zu verlieren war zwar nicht der größte, wohl aber der nachhaltigste Schmerz.
    Eine sechs Jahre alte Erinnerung: Zeugung und Entstehung eines Kindes in schlimmsten Zeiten.
    Â 
    Ich werde dieses Anblicks nicht müde, weil ich weiß, wie kostbar er noch werden wird: Die Sonne geht hinter der Mosel und den Türmen von Toul unter. Nicht weit von der Stelle, wo das Gut liegt, das der König uns schon vor Jahren geschenkt hat, macht der Fluss eine Biegung, und an diesem Märzabend meint Gott es gut mit uns, denn das blaugraue Band des Wassers windet sich durch eine rostrote Landschaft aus Gras und satter Rebenerde unter einem wolkenlosen violetten Himmel. Von Westen kommend, streift ein milder Wind über das Land, der nur Gutes zu bringen scheint.
    Ich lasse es mir selten nehmen, die Hühner selbst zu füttern, und an diesem wunderschönen Abend schon zweimal nicht. Das Geflügel bekommt eine letzte Handvoll Sämereien, bevor es sich in den Stall zurückzieht, wo es über Nacht ein bisschen fetter werden soll. Gerade als ich fertig bin, höre ich von weit her Arnulf rufen, der auf einem Pferd über die Wiese reitet und einen Hasen an den Ohren hochhält. Ich lächle. Er hat unser Abendessen erlegt, so wie er es sich vorgenommen hatte.
    Auf unserem Gutshof machen wir viel mehr selbst,
als es nötig wäre. Wir haben einen Verwalter, dessen Frau und die fünf Söhne, die alle im arbeitsfähigen Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig Jahren sind. Diese Familie erledigt, falls man nicht einschreitet, jede Arbeit, und außer meiner Zofe, die sich den Avancen der Verwaltersöhne zu erwehren hat, brauchen wir keine weiteren Bediensteten. Die sechzig leibeigenen Bauern, die zu uns gehören, leben verstreut auf dem weiten Besitz und bestellen die Getreide-, Gemüse-, Obst- und Weinfelder. Es ist, alles in allem, das Leben, das ich mir wünsche.
    Von Dauer ist es nicht; das zu glauben wäre töricht. Es hat unzählige Jahre unentwegten Dienstes von Arnulf an der Seite des Königs bedurft, damit dieser uns erlaubte, einen Winter, einen Sommer und einen weiteren Winter lang auf unserem Gut zu verbringen, das wir seit sechs Jahren besitzen, ohne es je gesehen zu haben. Ein Drittel dieser Zeit ist nun schon vergangen, und wenn wir in

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