Die Giftmeisterin
innere Stimme.«
»Gott.«
»Von vielen wird sie so getauft. Gelehrte nennen sie oft Gewissen. Ich kannte Poeten, die sie Stern nannten. Ein Weiser bezeichnete sie einmal als Ãberwindung. Für mich ist sie die Botschaft, weniger eine gesprochene als eine geschriebene Botschaft, etwas, was schon immer aufgeschrieben war, eingeschrieben in mir, vergraben, was hervordrängt und entziffert zu werden wünscht.««
»Ich verstehe.«
(Ich glaube, ich verstand sie tatsächlich, auch damals schon.)
Sie lächelte. »Dann verstehst du auch, weshalb ich derzeit nicht weiÃ, weshalb ich hier bin, und ebenso wenig weiÃ, warum ich glaube, dass du mich noch brauchen wirst. Ich weià nur, dass ich hier bin und dich kennengelernt habe. Alles Weitere wird man sehen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Alles, was ich als Glücklichmacherin tue, richtet sich nach dem Gefühl aus und dem Bemühen, die Botschaften aus meinem Innern zu entziffern. Die Steine, die Gewürze, die Hölzer, Metalle, Düfte, das Wasser - das sind nur die Rezepturen. Viel wichtiger sind die Gespräche mit meinen Kunden. Ihre Bedeutung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Ein Gespräch, das über lange Zeit geführt wird, bringt Dinge zutage, die es mir erst ermöglichen, glücklich zu machen.««
Das Thema behagte mir nicht. Ich wollte kein Gespräch mit Fionee führen, das sich um mich drehte.
Daher lenkte ich ab, und zwar in eine Richtung, die mir angenehm war. »Du hast eine ähnliche Kette wie die, die du mir verkauft hast, auch Mathilda verkauft«, sagte ich.
»Mathilda?«
»Sie lebt in der Königspfalz. Königliche Konkubine. Römerin.«
»Ich spreche nie über meine anderen Kundinnen.«
»Mathildas Kette«, fuhr ich unbeirrt fort, Ȋhnelt der meinen. Mathilda war also hier bei dir, das steht auÃer Frage.« Ich bemerkte meinen nachdrücklichen Tonfall, nicht gerade unhöflich, aber sehr offen, mehr noch, frei. Nicht ich war es, die sich des Tons bemächtigte, sondern er bemächtigte sich meiner. »Und Eugenius, der Prälat, war ebenfalls bei dir. Weswegen wirst du von all diesen Leuten besucht? Du sagst, du machst sie glücklich, doch womit? Erzähle mir nicht, sie kommen wegen deiner Ketten.«
Sie schwieg.
»Gut, ich sage dir die Wahrheit, Fionee. In der Pfalz hat es einen Mord gegeben, und ich suche den Mörder. Hugo, der Ermordete, stand in enger Verbindung zu Mathilda und Eugenius, und die beiden standen in Verbindung zu dir. Es ist wichtig, dass du mir sagst, was Mathilda und Eugenius von dir wollten.««
»Sie wollten von mir das«, erwiderte sie ruhig, »was du auch willst.«
»Ich? Ich will nichts. Oder meinst du, sie wollten Auskünfte?«
»Nein, das meine ich nicht.«
»Dann können sie nur etwas anderes als ich gewollt haben, denn ich bin nur wegen der Auskünfte zu dir gekommen.«
Sie schwieg. Ihr Schweigen war wie ein Loch, in das ich
hineingriff, ein dunkler Brunnenschacht, in dem das Begehrte lagerte, ohne dass ich es zu erreichen vermochte und ohne dass ich mit Sicherheit wusste, was zum Vorschein kommen würde, falls ich es erreichte. Und dann geschah genau das. Das Schweigen endete, und etwas Schreckliches kam ans Tageslicht.
»Du bist eine unglückliche Frau«, sagte Fionee.
»Lügnerin«, entgegnete ich. Was für ein merkwürdiges Wort in diesem Zusammenhang! Ich fühlte mich angegriffen, nicht anders, als wenn man mich eine Hure oder Verräterin oder Diebin geschimpft hätte. Würde man eine Frau, die behauptet, dass man leicht hinke, eine Lügnerin nennen? Oder eine Frau, die darauf hinweist, dass man im Moment etwas zu laut spricht? Ich wurde als unglücklich bezeichnet, und sofort spannte sich mein Körper an.
»Du bist eine unglückliche Frau, die niemanden hat, dem sie es anvertrauen will.«
»Wie böse du bist!«
»O ja, sehr, wenn es sein muss. Es mag dich erschrecken, wie es jedermann erschreckt, der es hört. Auch Menschen, die nichts Böses im Sinn haben, tun böse Dinge, und zwar andauernd, Helden wie Heilige. Daher ist jede Verehrung unangebracht.«
»Schon wieder lenkst du ab. Immer lenkst du ab.« Ich war sehr zornig, viel zorniger, als ich je auf Emma gewesen war, und ich spürte, dass dieser für mich ungewohnte Zorn tatsächlich ein Teil von mir war und sich trotzdem
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