Die Giftmeisterin
Engelsburg.
»Sehr hübsch«, kommentierte ich.
Dieser Ausdruck schien nicht Mathildas Billigung zu finden. Sie nahm mir das Blatt entschlossen aus den Händen und rollte es wieder zusammen.
»Die Zeichnung ist Hugos Werk«, sagte sie. »Er war als Kind in Rom gewesen und hat die Monumente gesehen. Damals begann seine Begeisterung für Bauwerke, die er später zugunsten der Kriege, an denen er teilnahm, vernachlässigt hat. Doch hier, in diesen vier Wänden, lebte seine alte Neigung wieder auf. Er kopierte alles, was ich an Zeichnungen besitze, oft mehrere Male. Er wollte auch die Geschichte der Monumente kennenlernen und alles über die alte Zeit erfahren, und so teilte ich mein Wissen mit ihm. Wir sprachen viele Stunden miteinander und wurden - ja, so seltsam es klingt, wir wurden Freunde.««
Ich hatte das Gewand zugebunden - besser gesagt, zugeknotet -, woraufhin sie sich an ihren Spiegeltisch setzte, auf dem neben allerlei Schatullen zu meiner Ãberraschung auch ein Dolch lag.
»Wie oft hat er Euch besucht?«, fragte ich.
»Gewiss zweimal wöchentlich für den Zeitraum eines Jahres.«
»Das war nicht ungefährlich, weder für Hugo noch für Euch. Wenn man ihn in Euren Gemächern entdeckt hätte, wäre der König gewiss zornig geworden.«
»Wir waren vorsichtig. Als Offizier der Wache wusste er, wer von seinen Leuten nach Einbruch der Dunkelheit wo steht, und bevor er wieder ging, sah ich nach, ob sich jemand in der Nähe meines Gemachs aufhielt. Natürlich blieben die Besuche ein Wagnis, doch weder er noch ich wollten auf sie verzichten, hatten wir doch zu viel Freude daran. Ich genoss es, mit jemandem zu sprechen, der sich für meine Heimat und die Künste begeisterte, und für ihn war ich die Einzige, mit der er darüber sprechen konnte. Als Waffenträger in den Diensten des Königs war es ihm unmöglich...«
»Ich weië, unterbrach ich Mathilda.
»Er war gerne Offizier, ein Krieger. Er sagte mir, dass er das Leben auf dem Rücken der Pferde brauchte und dass eine gewaltige Spannung ihn erfasste, wenn er nach dem Knauf seines Schwertes griff. Aber er war nicht ausschlieÃlich Soldat, er hatte noch eine andere Seite, und er war überzeugt, sie nur mir zeigen zu können. Hugo und ich brauchten einander.««
»Wusstet Ihr, dass er bei Eugenius lesen und schreiben gelernt hatte?«
Zum ersten und einzigen Mal im Verlauf des Gesprächs lächelte Mathilda.
»Ja, er hat mich damit überraschen wollen, und das gelang ihm auch. Ich betrachtete seine neuen Fertigkeiten als eine Art Danksagung an mich, da die Gespräche mit mir ihn erst dazu angeregt hatten, sein Dasein reicher zu gestalten. Nachdem Eugenius die Unterweisungen abgebrochen hatte, setzte ich sie an seiner Stelle fort. SchlieÃlich gelang es Hugo sogar, mühelos Gedichte vorzutragen. Er mochte Horaz.«
Gespräche, Gedichte - Mathildas Beschreibung der mit Hugo verbrachten Zeit kam mir bekannt vor.
»Hat er gesungen?«, fragte ich
Mathilda hob die Augenbrauen. Ich konnte regelrecht beobachten, wie sie im Kopf alle Möglichkeiten durchging, wie ich zu einer solchen, nicht unbedingt naheliegenden Annahme käme.
»Ich verstehe«, sagte sie. »Teodrada, nicht wahr?«
Ich nickte. »Entweder wart Ihr nicht die Einzige, die Hugo im Frauenhaus mit seiner Anwesenheit beglückt hat, oder sie hat gelauscht und sich etwas zusammengereimt.««
Mathilda verzog die Lippen - ich vermeide es absichtlich,
die zur Seite gezogenen Mundwinkel in diesem Fall »lächeln« zu nennen.
»Sie hatte Hugo eines Tages entdeckt, als er mich gerade verlassen wollte. Ich hatte sie übersehen, sie stand in einem finsteren Winkel, wo sie Gott weià wie lange gewartet hatte. Ich nehme an, sie hatte in den Tagen vorher irgendetwas bemerkt... Ist ja egal. Hugo jedenfalls reagierte geistesgegenwärtig und verhielt sich ausgesprochen nett zu dem Mädchen. Teodrada deutete an, über seine Besuche im Frauenhaus zu schweigen, falls er gelegentlich auch für sie ein wenig Zeit übrighabe. Und so geschah es.«
Mathilda öffnete eine Silberdose und fischte ein Paar filigrane Ohrringe heraus, die sie sich probehalber an die Ohren hielt, bevor sie sie dort befestigte.
»Fragt mich nicht, was die beiden in Teodradas Gemach taten, denn ich habe nie mit Hugo darüber gesprochen. Dass Teodrada ihn mochte -
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