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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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demnach einen großen Gefallen getan - zugeben würde er das nie und nimmer. Im Gegenteil, er grollte mir, und in seinem Groll warf er mir erneut vor, keine Mutter zu sein.
    In einer Woche oder einem Monat könnte mich seinerseits ein noch schlimmerer Groll treffen, einer, der weniger offensichtlich ist und viel tiefer sitzt: der Groll desjenigen, der weiß, dass er sich im Unrecht befand.
    Ich hatte das schon einmal erfahren.

    Eine siebzehn Jahre alte Erinnerung: das Blutgericht.
    Dort, wo die Aller in die Weser mündet, biegen sich die Birken im Wind. Allenthalben tanzt Laub.
    Der König hat die Edlen seines Reiches versammelt, was er sonst nur zu Reichstagen tut, und auch der Treffpunkt, eine Heide, ist ungewöhnlich. Die Edlen sitzen, geschmückt wie zu einem Fest, zu Pferd, an die zweihundert zähle ich. Karl hat zwar befohlen, dass die Damen in einem nahe gelegenen Lager am Rand des Dorfes Verden verweilen sollen, doch ich habe diesen Befehl missachtet und bin bei einem Spaziergang an der Weser »zufällig« an jenem Versammlungsplatz vorbeigekormnen. Schilf, Gebüsch und Birken geben mir Deckung.
    Ungefähr dreißig Schritte von den Edlen zu Ross entfernt steht die tausendköpfige Führungsschicht der Sachsen im Heidegras, entwaffnet und von zahlreichen Wachen umringt. Ihr Aufstand wurde kürzlich niedergeschlagen, und sie alle sind vor den König gebracht worden, damit er über sie richte. Nur Widukind, der Anführer, konnte entkommen.
    Die Worte des Königs kann ich nicht verstehen, da der Wind sie mit sich fortträgt, aber der Aufruhr bei den Sachsen ist erheblich.
    Und dann begreife ich. Es soll ein Exempel statuiert und einige sächsische Adelige sollen hingerichtet werden. Anscheinend will der König diese Aufgabe aber nicht ausschließlich den niederen Offizieren überlassen, nein, seine Edlen sollen mit gutem Beispiel vorangehen. Graf Theoderich, ein Verwandter des Königs, steigt unaufgefordert als Erster vom Pferd. Ein
Holzpflock wird ins Heidegras gestellt, und Theoderich greift sich einen Beliebigen aus der sächsischen Phalanx und schafft ihn unter Mithilfe zweier Wachen zum Pflock. Der langhaarige Sachse wehrt sich, doch kein Laut kommt ihm über die Lippen. Das Schwert saust nieder. Die Franken johlen. Die Sachsen schweigen.
    Ich wende mich ab, obwohl ich wegen des hohen Grases das Schlimmste nicht sehen kann.
    Als ich mich wieder vorsichtig umdrehe, steigt Theoderich gerade auf sein Ross. Eine Weile geschieht nichts. Der König scheut davor zurück, seinen Edlen zu befehlen, es Theoderich nachzutun, und die Edlen scheuen ebendies. Es ist wahrlich keine ruhmreiche Aufgabe, Wehrlosen den Kopf abzuschlagen, das ist Henkersarbeit.
    Mir bleibt das Herz fast stehen, als Arnulf von seinem Pferd absteigt. Er gehört nicht zu den Edlen, ist jedoch als Befehlshaber einer Scara, einer Reitertruppe, über den Rang eines niederen Offiziers hinausgekormnen.
    Arnulf, möchte ich rufen, tue das nicht.
    Er geht zwischen den Sachsen umher, ich verliere ihn ab und zu aus dem Blickfeld. Schließlich werden drei junge Männer - keiner älter als zwanzig, soweit ich sehen kann - von den Wachen aus dem Pulk gezogen. Zwei weitere Blöcke werden aufgestellt. Die drei jungen Männer ähneln sich, es sind zweifellos Brüder. Ihr Vater ist in die vorderste Reihe der Sachsen getreten und muss von den Wachen daran gehindert werden, den Pulk zu verlassen. Der Vater ruft die Namen der Söhne.
    Meine Hand legt sich zitternd auf meinen Mund. Ich
schließe die Augen. Ich höre einen, zwei, drei Schwertschläge. Die Franken johlen, die Sachsen schweigen.
    Ich halte mir die Ohren zu. Ich laufe weg.
    Der Wind verfolgt mich. Er trägt die Geräusche der Enthauptungen mit sich. Er trägt das Johlen mit sich und auch das Schweigen.
    Â 
    Am Abend erst kehrt Arnulf in unser kleines Zelt zurück, das vom Sturm geschüttelt wird. Nachdem wir uns, ohne zu sprechen, in die Augen gesehen haben, weicht er meinem Blick aus.
    Â»Hast du gegessen?«, frage ich nach einer Weile.
    Â»ja.«
    Die Zeit vergeht.
    Â»Wie viele?«, frage ich.
    Er weiß, wovon ich spreche. »Du warst also dort. Warum tust du nicht, was man dir sagt?«
    Â»Wie viele?«
    Â»Das ist nichts für eine Frau.«
    Â»Wie viele?«
    Â»Gib bitte Ruhe.«
    Â»Wie viele?«
    Â»Herr im Himmel!«, ruft er ärgerlich.
    Â»Sag es. Wie

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