Die Giftmeisterin

König oder von meinem Gemahl gefunden worden. Versteht mich richtig, vielleicht hat Grifo die Pfeilspitze verloren, aber sie taugt nicht als Beweis, weil es möglich wäre, dass jemand sie entwendet hat und am Tatort ablegte. Ich übergebe sie Euch. Was mich angeht, habe ich sie nie gesehen.«
    Ich wandte mich zum Gehen. »Ihr solltet die Tür verriegeln. Hier kann ja jeder hereinkommen.«
    Er verharrte noch immer in der gleichen Stellung, ein
Kleidungsstück in Händen. »Wir haben sie stets nur dann verriegelt, wenn wir ungestört sein wollten.«
    Â»Grifo ist vielleicht in großer Gefahr, Gerold.«
    In den wenigen Stunden des Schlafs, die mir verblieben, starb ich ein wenig. Ich spürte, dass am nächsten Tag nichts mehr so sein würde, wie es gewesen war, mich eingeschlossen.

32
    ES SCHNEITE. DIE Flocken fielen senkrecht vom Himmel. Sie hatten nichts Bedrohliches an sich, man musste sie mögen. Ich sah ihnen lange dabei zu, wie sie aus dem Unbekannten kamen, wie sie vergingen... Die Morgenmesse ließ ich ausfallen, und ich bat Gerlindis, mich bei Berta zu entschuldigen und ihr zu erklären, dass ich heute lieber allein wäre.
    Arnulf war fortgegangen, bevor ich aufgestanden war. Manchmal, wenn ich die Haustür öffnete und dem Schnee zusah, sah ich auch Arnulf in der Ferne, wie er Anweisungen gab, wie er Flaggen aufhängen und Baugerät wegschaffen ließ. Für ihn und für mich war es besser, wenn wir uns nicht begegneten, aber einmal trafen sich unsere Blicke, und das war ein Moment, als würde ein Gewicht mich treffen.
    Â 
    Gerlindis gegenüber ließ ich mir so wenig wie möglich anmerken. Ich sagte ihr, das Wetter bedrücke mich, es sei eben nicht das Wetter des Rhönetals.
    Â»Mir macht das Wetter gar nichts aus«, sagte sie.
    Â»Du bist jung, Gerlindis, so jung...«
    Sie überlegte, ob sie mir eine Frage stellen dürfte, und in ihrer Not entschied sie sich dafür. »Ich würde Grifo gerne ein paar Zeilen schreiben, darf ich?«
    Â»Meinetwegen. Aber er kann nicht lesen.«

    Â»Warum ist alles so schwierig? Ich will ihm ja bloß zeigen, dass ich an ihn denke. Nun gut, wenn er nicht lesen kann, will ich ihn besuchen.«
    Â»Gerlindis, es ist an Grifo, sich dir zu erklären, nicht umgekehrt. So ist sie nun einmal, die Welt. Wenn es nach mir ginge... aber es geht nicht nach mir.«
    Gerlindis sagte flehentlich: »Kannst du denn g ar nichts für mich tun?«
    Mein liebes Kind, wollte ich antworten, wenn du wüsstest, was ich alles für dich und Grifo tue. Das behielt ich jedoch für mich.
    Ich seufzte. »Ich lasse bei Gerold durchblicken, dass du auf ein Zeichen von Grifo wartest.«
    Sie geriet in Verzückung. Die Liebe ist schon ein Unding. Ich sage zu, dem Vater eines Bettlägerigen anzudeuten, er möge gegenüber seinem Sohn andeuten, dieser solle ein Zeichen senden, und aus einer fast erwachsenen Frau wird eine Phantastin.
    Â 
    Gegen Mittag ging ich spazieren, fort von der Pfalz, von Aachen, in Richtung der Felder. Der Winter hielt die Bauern in den Hütten. Ich war ganz für mich, eine von Nebel umgebene Frau auf einer unbevölkerten, der Stille und Einsamkeit anheimgegebenen Erde. Dort nun, auf diesem lebensfeindlichen Boden, konnte gedeihen und Gestalt annehmen, was in Glück und Wärme nicht zu wachsen vermag.
    Â 
    Ich wünschte mir, dass mein Hass ungeheuer würde. Ich suchte nach ihm. Ich suchte auch die Kälte und Verruchtheit und den Mut zur Tat, zum Verbrechen. Das alles erschien mir begehrenswert. Mein Ziel war, Emma die Schuld an allem zu geben, was in meinem Leben nicht geglückt
war, und gemeinsam gelang es dem Frost von außen und dem Frost von innen, mein Herz zu erreichen.
    Â 
    Â»Teufel, wo bist du?«
    Nicht, dass ich ihn herbeisehnte. Doch ich erwartete ihn, da ich einen Entschluss gefasst hatte, den vielleicht schwerwiegendsten Entschluss, den ein Mensch fassen kann: den Entschluss zu töten. Mord führt zu ewiger Verdammnis, unsagbaren Schmerzen, Höllenqualen. Doch was bedeuten jenseitige Qualen, wenn die diesseitigen die Brust zerreißen?
    Â»Teufel, wo bist du?«
    Ich rief, als rechnete ich damit, dass er mir höchstpersönlich das Mordgerät in die Hand drücken würde.
    Eine Krähe näherte sich mir, entfernte sich wieder. Am anderen Ende des Feldes rannte ein Fuchs vorüber. Über mir kreiste ein