Die Giftmeisterin

viele?«
    Â»Ungewiss. Siebenhundert, achthundert, eintausend. Ich habe sie nicht gezählt.«
    Â»Herr im Himmel«, flüstere ich fast atemlos. »Eintausend.«
    Â»Vielleicht auch mehr.«
    Ich zögere. »Und - du - hast...?«
    Er sieht mich empört an. »Nur die drei. Was denkst du denn von mir!«

    Â»Dass du das nicht hättest tun sollen. Nicht hättest tun sollen und nicht hättest tun müssen.«
    Â»Der König hat mich dafür gelobt, Ermengard.«
    Â»Dergleichen brauchst du von mir nicht erwarten.«
    Â»Was willst du eigentlich? Es handelt sich um Aufrührer.«
    Â»Warum hast du drei Sachsen hingerichtet, wo Theoderich sich mit >nur< einem zufriedengab? Warum drei Brüder?«
    Â»Fragen stellst du! Es hat sich einfach so ergeben.«
    Â»Du hast einem Vater alle drei Söhne genommen.«
    Â»Das weiß ich selbst.«
    Â»Das war nicht richtig, Arnulf.«
    Â»Der König hat sie verurteilt, also ist es richtig.« Als er merkt, dass ich ihm nicht widerspreche, beruhigt er sich ein wenig. »Sieh, Ermengard, die Sachsen werden nur von harten Schlägen beeindruckt. Wir hatten zunächst nicht vor, so viele umzu... hinzurichten. Aber die Sachsen flehten nicht um Gnade, und der König wollte nicht klein beigeben. Es folgte Schlag auf Schlag, und immer mehr Edle wollten ihre Treue beweisen, und dann war da plötzlich dieser Jubel, so eine Hochstimmung auf unserer Seite, und wenn das keine göttliche Sendung war, was denn dann?«
    Die Antwort darauf halte ich zurück. Ich sage stattdessen: »Wenn du es nicht so eilig gehabt hättest, Theoderich nachzueifern, wäre es vielleicht nicht zu diesem - diesem göttlichen Blutgericht gekommen.«
    Er verlässt das Zelt.
    Â»Wohin gehst du?«, rufe ich.
    Â»Zu meinesgleichen.«

    Nach diesem Streit ist er in meiner Nähe schweigsam und missgelaunt, wochenlang. Würde er sich im Recht fühlen, würde er großmütig über meine Meinung hinweggehen. Aber er weiß, dass das, was er bei Verden tat, nichts mit seiner Treue zum König zu tun hatte, sondern dass er es in gewisser Weise gerne tat. Es hat sich um Rache gehandelt. An wem? An einem sächsischen Vater, den er nicht kannte, so scheint es. Die Wahrheit liegt tiefer.
    Arnulf hat schon immer den vorgehaltenen Spiegel gefürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Meine Enthüllungen im Mordfall Hugo hatten eine Kerbe in die blitzblanke Rüstung von Arnulfs Selbstverständnis geschlagen, die nur durch Emmas nächtlichem Zauber wieder heilen könnte. Sie würde die richtigen Worte finden, um ihn zum Helden Hektor und mich zur Kassandra zu machen.
    Emma, und immer wieder Emma. Ich kam stets auf sie zurück. Meine Beschuldigung war für Arnulf eine Verleumdung, die mich darüber hinaus zu einer anderen Frau machte als die, die ich bisher gewesen war, die er geachtet hatte.
    Womöglich hatte er recht, und ich war eine andere Frau geworden, wenn auch keine Verleumderin. Fionee hatte kluge Dinge gesagt, sie hatte etwas erkannt - etwas gesehen -, das mir bisher verborgen geblieben war. Was sah Fionee noch?
    Â 
    Emma. Emma und das Kind. Emma und Arnulfs Töchterchen. Im Falle von Emmas Tod wäre die einzige Frau, die mir Arnulf wegnehmen könnte, gegangen, und plötzlich wäre da ein kleines Kind übrig, jung genug, um es zu formen,
ihm eine neue Mutter zu werden und die alte auszulöschen.
    Mein Gott!
    Ging meine Veränderung so weit, dass ich danach trachtete, zu töten? Ganz gewiss nicht.
    Und doch sollte ich es schon bald tun.

31
    ICH PLATZTE IN Gerolds Gemach. Er war gerade dabei, sich auszuziehen, war jedoch noch nicht weit gekommen. Da ich schnell gelaufen war, atmete ich schwer. Mein Erscheinen zu dieser Stunde war unschicklich.
    Ich warf mit einer entschiedenen Bewegung die Pfeilspitze auf Gerolds Bett.
    Â»Ich glaube nicht mehr, dass Euer Sohn die Pfeilspitze am Tatort verloren hat.«
    Gerold war zu verblüfft, um mir zu antworten. Er starrte mich mit großen Augen an.
    Â»Ihr sagtet«, fuhr ich fort, »Grifo nehme Pfeilspitze und Medaillon mit in Schlachten und auf Feldzüge. Aber wieso sollte er sie am Abend des Mordes an Hugo bei sich tragen? Und selbst wenn er sie bei sich trug: Das angeschnittene Zaumzeug beweist, dass jemand vorhat, Grifo zu töten; die Pfeilspitze könnte der erste Versuch gewesen sein, und er wäre gelungen, wäre sie vom