Die Gilde der Diebe
Martha.«
Er sprang hinab in die Gondel und trieb das Boot vorwärts, fort von der Landungsbrücke und tiefer nach Darkside hinein. Die Herz-Königin verharrte noch einige Sekunden mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck auf der Landungsbrücke, bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte und davoneilte. Jonathan schaute belustigt zu Carnegie hinüber und öffnete den Mund, doch der Wermensch brachte ihn mit einem warnenden Seitenblick zum Schweigen.
»Sag nichts, Junge. Kein einziges Wort.«
Es war eine ermüdende und stille Reise zurück ins Zentrum von Darkside. Die Gondel schaukelte aus der großen Höhle hinaus und glitt einen lang gezogenen Kanal entlang. Jonathan schloss die Augen, lehnte seinen Kopf gegen die Bordwand und ließ sich vom Plätschernder Wellen einlullen. Neben ihm summte Raquella eine seltsame Melodie vor sich hin. Eine eigenartige Ruhe umfing Jonathan und er driftete in einen sanften Schlaf ab.
Ein lauter Schrei irgendwo hoch oben über seinem Kopf riss ihn aus dem Schlaf. Sie hatten den finsteren Kanal verlassen und befanden sich wieder unter freiem Himmel. Das Wasser war etwas tiefer und bewegter und das Boot tanzte zwischen zwei großen hölzernen Landungsbrücken auf den Wellen auf und ab. Im Wasser schwamm allerhand Treibgut: verrottete Planken, rostige Tonnen, tote Fische und etwas Kleines, Hautfarbenes, das verdächtig wie ein Finger aussah. Durch den Morgennebel konnte Jonathan einige Lichtflecken am Himmel erkennen. Die Luft roch nach Salz und Fäkalien.
Jonathan setzte sich auf und rieb sich die Augen.
»Wo sind wir?«
Carnegie atmete tief ein.
»Dem Gestank nach zu urteilen würde ich sagen, wir sind zu Hause. Am Teufels-Kai, um genau zu sein.«
Am Fuße der einen Landungsbrücke war eine kleine Behelfsplattform montiert, auf der ein in eine Decke gehüllter Junge saß. Carnegie kämpfte gegen die stärker werdende Strömung an, manövrierte die Gondel zur Plattform und warf dem Jungen die Haltetrosse zu. Der junge Bursche, der große Ähnlichkeit mit Philip aus dem »Blutrot« besaß, grüßte sie überschwänglich.
»Guten Morgen, Mister Carnegie!«
Der Wermensch warf ihm einen misstrauischen Blick zu, als er vorsichtig an Land ging.
»Hallo, Peter. Hast du uns erwartet?«
»Ja, Sir! Philip hat mir gesagt, dass Sie unterwegs zum Garten waren. Er meinte, dass Sie vermutlich hier auftauchen würden, falls Sie dort wieder rauskämen. Voilà, hier sind Sie! Hatten Sie eine gute Reise?«
»Teilweise«, knurrte der Wermensch. »Mit Rudern wäre es allerdings einfacher gewesen. Wenn du deinen Bruder siehst, Peter, dann sag ihm, dass ich gerne mit ihm reden würde. Ziemlich laut und ziemlich nah an seinem Ohr.«
Peter nickte eifrig.
»Mache ich, Mister Carnegie, Sir! Ehrenwort.«
Carnegie schüttelte müde den Kopf, trottete an dem Jungen vorbei und klettere die Leiter zur Landungsbrücke hoch.
Einige Stunden später standen sie an einer Straßenecke in einem ziemlich heruntergekommenen Stadtteil im Osten Darksides. Jonathan wollte von den Landungsbrücken aus direkt zum »Tintenfisch-Club« gehen, doch Carnegie bestand darauf, dass sie zuerst seine Räumlichkeiten aufsuchten. Er hatte behauptet, es ginge ihm darum, dass sie sich ausruhen konnten, aber Jonathan hegte den Verdacht, dass er lediglich seinen zerbeulten Zylinder holen wollte.
Der »Tintenfisch-Club« befand sich in einem kleinen, unscheinbaren Reihenhaus am Ende der Straße. Kein Schild kündete von seiner Existenz, es gab nicht einmal eine Hausnummer an der Tür. Die Fenster waren mit schweren Läden verdunkelt. Während Jonathan das Haus beobachtete, marschierte ein gut gekleideter Herr zügig darauf zu, blickte kurz nach links und rechts und verschwand rasch durch die Eingangstür.
»Nun, ich nehme an, das bedeutet, dass geöffnet ist.«
Carnegie bedachte ihn mit einem grimmigen Blick.
»Der ›Tintenfisch-Club‹ ist nie geschlossen. Den Leuten da drinnen ist es völlig egal, wie spät es ist.« Er rückte seinen Hut zurecht. »Wartet hier. Ich beeile mich.«
»Warte! Du gehst da nicht ohne uns rein!«
»Oh, doch. Hör zu, Junge, ich habe dich an alle möglichen unschönen Orte in Darkside mitgenommen, aber ich werde es nicht verantworten, dass du da reingehst. Du kannst hier draußen auf mich warten. Das ist schon gefährlich genug.«
Zu Jonathans Überraschung antwortete Raquella.
»Nein«, sagte sie leise. »Wir begleiten dich. Verstehst du nicht, Carnegie? Mein Leben und das von Jonathans
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