Die Gilde von Shandar: Die Spionin
Femke vielen Edelmännern begegnet. Stets wanderten sie in kleinen Gruppen über die Flure. Der König hatte sie bei einer Sitzung am Hof an ihrem zweiten Tag kurz vorgestellt, und sie hatte die Gelegenheit genutzt, mit einigen von ihnen zu sprechen, nachdem die Tagesgeschäfte erledigt waren. Hatte sie auch mit diesem Mann geredet? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Ihr Gedächtnis war gut, und sie hätte sich seinen Namen gemerkt, wenn sie schon einmal mit ihm gesprochen hätte.
»Nun, Botschafterin Femke, wie ich sehe, hattet Ihr ein paar Abenteuer im Palast zu bestehen? Ihr habt die königlichen Wachen aufgescheucht, sodass sie herumschwärmen wie wütende Hornissen. Ich frage mich, was Ihr getan habt, um sie so aufzuregen? Möchtet Ihr es mir erzählen, oder muss ich warten, bis ich es nachher im Palast erfahre?«
Einen Augenblick dachte Femke über die Frage nach. Irgendetwas an dem Mann gefiel ihr nicht. Er war schleimig und erinnerte sie an eine aufgeblasene Kröte mit hungrigem Grinsen und gierigen Augen. Kurz tauchte das Bild vor ihren Augen auf, wie seine Zunge herausschoss, um sie zu fangen und in den Rachen zu ziehen. Ihr lief es kalt über den Rücken.
»Man hat mich hereingelegt, Lord …«
»Graf, ehrlich gesagt – Graf Dreban«, erwiderte der rundliche Edelmann, dessen Gesicht selbstgefällig wirkte und mehr denn je einer Kröte glich.
» Graf Dreban«, korrigierte sich Femke und gestand ihren Irrtum mit einem Kopfnicken ein. »Man versucht, mir einen Mord anzuhängen, obwohl ich hier auf einer Friedensmission bin. Die ganze Angelegenheit ist einfach bizarr!«
Bei der Erwähnung eines Mordes hob der Graf die Brauen und seine Augen verengten sich vor widerlicher Gier. »Mord?«, fragte er. Er kostete das Wort förmlich auf der Zunge aus. »Doch nicht etwa der König?«
»Nein, Mylord, der König lebt. Baron Anton ist ermordet worden, und irgendjemand hat es so aussehen lassen, als wäre ich seine Mörderin.«
Zu Femkes Überraschung begann der Graf zu lachen, ein tiefes, langsames Lachen, das keineswegs lustig klang. Wieder lief ihr ein Schauer über den Rücken, als sie den Heiterkeitsausbruch des Grafen beobachtete. Einen Augenblick lang war sie versucht, auf der Stelle einen Fluchtversuch zu wagen.
»Baron Anton! Der Baron, der König werden wollte – ermordet! Ha, ha, ha! Sehr lustig, junge Dame, obwohl Euch die Details der Angelegenheit höchstwahrscheinlich entgehen.«
»Ich kann an dem Mord nichts lustig finden, Graf Dreban. Schon gar nicht, wenn man mich des Mordes beschuldigt.«
Der Graf kicherte immer noch, erfreut über Femkes Neuigkeiten und ohne Rücksicht auf ihre Lage. Endlich fasste er sich wieder und lächelte sie an. Die Kröte, die ihre saftige Fliege gefangen hat. Seine blauen Augen glitzerten boshaft.
»Ihr seid keine Thrandorianerin, Botschafterin«, bemerkte er geheimnisvoll, »denn sonst wüsstet Ihr dieses schöne Szenario zu schätzen. Es ist ganz einfach. Unser glorreicher König Malo, der meinem Ermessen nach weder glorreich noch würdig ist, König zu sein, hat während seiner Regierungszeit nichts dafür getan, Thrandor aus seiner Mittelmäßigkeit zu erheben. Er hat in seinen Pflichten sogar so weit versagt, dass er es versäumt hat, einen Erben in die Welt zu setzen für die Zeit, wenn er tatsächlich mal etwas wirklich Gutes tut und das Zeitliche segnet. Das Fehlen eines Erben hat natürlich viel Interesse daran geweckt, wer den Thron im Falle seines Ablebens besteigen wird.«
»Ich verstehe schon, dass das Fehlen eines Erben unter denjenigen, die in der Position sind, einen Anspruch auf den Thron zu stellen, für Aufregung sorgen kann«, erwiderte Femke, ihre Worte mit Bedacht wählend. »In Shandar herrschte bis vor Kurzem eine ähnliche Situation. Hatte Baron Anton denn einen starken Anspruch?«
»Anton? Kaum!«, schnaubte Dreban. »Er ist … er war nicht einmal von königlichem Geblüt. Es war Malos Idee, Anton für den Thron vorzuschlagen. Es ist am Königshof seit Jahren allgemein bekannt, dass Malo die Absicht hatte, Anton als seinen Nachfolger zu benennen. Dann wäre die Dynastie der gegenwärtig herrschenden Familie mit Malos Tod zu Ende gewesen. Anton und seine Familie hätten eine neue Dynastie gegründet und Malo wäre jahrhundertelang als Verräter an seiner eigenen Verwandtschaft betrachtet worden.«
»Was ist mit den kürzlich errungenen militärischen Siegen? Ihr könnt sie doch nicht so einfach von der Hand weisen. Glaubt mir, der
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