Die Gilde von Shandar: Die Spionin
Attentäterin betrachtete als zuvor. Doch wenn dem so war, sagte er jedenfalls nichts. Stattdessen legte er ihre Sachen neben ihren kleinen Rucksack auf den Küchentisch. Ohne ein Wort zu sagen, zündete er am Küchenfeuer eine Fackel an und wie sie an, durch eine Tür zu gehen.
»Dürfte ich etwas Wasser haben, um meine Wunden zu säubern, Graf Dreban?«, bat Femke, als er sie eine kalte Steintreppe in den Keller hinunterführte. Der Graf ging kein Risiko ein. Den ganzen Weg lang hielt er die Schwertspitze auf ihren Rücken gerichtet.
»Ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Es wird mehr Eindruck machen, wenn ich Euch als Flüchtling präsentiere, Botschafterin«, erklärte er. »In der Politik kommt es vor allem auf Präsentation an.«
Femke erreichte die Tür am unteren Ende der Stufen und hielt inne. Trotz der flackernden Fackel in der Hand des Grafen hinter ihr war es feucht und dunkel hier unten. Schloss und Bolzen waren einfach konstruiert, und Femke dankte ihrem Schicksal, als sie sah, dass es nur ein einziger Riegel war. Alles andere hätte eine echte Herausforderung für sie dargestellt.
»Öffnet die Tür, Botschafterin. Eure Gemächer erwarten Euch. Es tut mir leid, dass meine bescheidene Unterkunft nicht mit dem Westflügel des Königspalastes mithalten kann, aber es wird Euch vorerst genügen müssen.«
Femke zog den Riegel zurück und stieß die Tür auf. Als sie halb offen war, begann sie, leicht zu knarren. Beim Eintreten drehte sich Femke um und sah den Grafen entrüstet an.
»Ihr wollt mich doch nicht in diesem Loch lassen?«, fragte sie. »Ich werde in kürzester Zeit erfroren sein!«
»Ich bringe Euch später eine Decke«, sagte Dreban mit einem Lächeln, das keinerlei Sympathie zeigte. »Den Dingen nach zu urteilen, die Ihr in Eurem Rucksack habt, und den Waffen nach, die Ihr bei Euch tragt, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Ihr ein so zartes Pflänzchen seid, das ein wenig Unbehagen nicht aushalten kann. Ihr seid mit Sicherheit der außergewöhnlichste Botschafter, der mir je untergekommen ist. Ihr spielt die Rolle des unschuldigen Opfers gut, aber Ihr tragt die Waffen eines ausgebildeten Killers mit Euch herum. Vor solchen Beweisen kann man sich nicht verstecken. Was ich nicht verstehe, ist, warum der Kaiser von Shandar Euch ausgerechnet jetzt hierherschickt. Das ist ein merkwürdiger Zeitpunkt. Ich will Antworten von Euch, bevor ich Euch dem König übergebe. Wahrheitsgemäße Antworten.«
Er trat vor und drängte sie mit der Schwertspitze weiter in den Keller. Es blieb kaum Zeit, sich im flackernden Licht der Fackel des Grafen umzusehen, bevor Dreban die Tür mit einem dröhnenden Knall zuschlug und den Raum in tiefster Dunkelheit versinken ließ. Darauf folgten das Geräusch des Riegels, der vorgeschoben wurde, und das Klicken des Schlosses, als es einschnappte. Doch der kurze Lichtschein hatte genügt, um Femke ihre größte Furcht zu nehmen: Der Raum war nicht leer. Er war angefüllt mit einem Mischmasch aus altem Zeug und unmodernem Gerät, aber es gab genügend Ressourcen, um ihr die Flucht zu ermöglichen.
Mit dem schwierigsten Teil, dem Öffnen der Tür, hatte sich Femke bereits beschäftigt. Dreban hatte sie zwar ihre Kleider ausziehen lassen, in denen sie die meisten ihrer Werkzeuge versteckt hatte, aber sie hatte es geschafft, ein Teil in ihrem Mund zu verbergen, als sie ihr Kleid über den Kopf zog. Sie versteckte für gewöhnlich verschiedene Dinge in ihren Kleidern und diese Gewohnheit hatte sich heute bezahlt gemacht. Es war ganz leicht gewesen, die kleine Rolle mit den Zähnen zu greifen, als sie ihr Kleid auszog, den Faden abzubeißen, der sie festhielt, und sie mit der Zunge in der Wange zu verstecken. Später, als Dreban seine Aufmerksamkeit zwischen ihr und dem Anzünden seiner Fackel teilen musste, hatte sie sie unbemerkt herausgenommen. Danach war es einfach gewesen, das kleine Metallstück, das daran befestigt war, zu lösen, sodass sich die dünne Kordel entrollen konnte.
Als Dreban dann seine kleine Rede in der Kellertür gehalten hatte, hatte Femke heimlich das Metallstückchen mit dem Daumen in das Bolzenloch gedrückt. Dann hatte sie hinter ihrem Rücken die Schnur zum Teil abgewickelt und den Rest der Rolle in den Keller links von der Tür geschnippt. Wenn sie flüchten wollte, musste sie nun nur noch das Ende der Rolle finden und sachte an der Schnur ziehen. Dann würde das daran befestigte Metallstück den Bolzen aus dem Loch hebeln. Es war
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