Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
die Rückseite des Betpultes. Der Priester erhob sich ebenfalls und streckte eine Hand aus, um ihn zu stützen. »Seid Ihr wohlauf, Euer Majestät? Ihr seht blass aus.«
»Es geht mir gut, Pater.« Pater. Der Priester war ein Junge. Was konnte er von Hals Ängsten wissen? Er war niemandes Vater. Das Wort bebte durch Hals schuldhafte Erinnerungen, als er an Marekas Berührung und an ihre Haut dachte, die mit seiner verschmolz. Nein! Hal war auch kein Vater. Er konnte kein Vater sein. Noch nicht. Nicht bevor er wirklich eine Braut genommen hatte. Die Götter konnten nicht so grausam sein.
»Euer Majestät!«, keuchte Siritalanu, als Hals Knie nachgaben.
»Es geht mir gut«, wiederholte Hal, atmete geräuschvoll ein und bezwang die Benommenheit. In der Ferne begann eine Glocke zu läuten, und er schluckte schwer. »Ich werde in Prinzessin Berylinas Sonnenraum erwartet, Pater.«
»Vielleicht möchtet Ihr, dass ich ihr eine Nachricht schicke, Euer Majestät. Ich kann der Prinzessin sagen, dass Ihr Euch nicht wohl genug fühlt, um Euch ihr anzuschließen.«
»Nein, Pater. Das ist nicht möglich.«
»Dann komme ich mit Euch.«
Er wollte den ernsten, jungen Mann fortschicken. Was konnte der Priester noch für ihn tun? Mit seinen glatten Wangen, seiner jungenhaften Gutmütigkeit? Siritalanu könnte all die anstehenden Probleme niemals verstehen.
Was konnte es jedoch schaden? Ein Priester war schicklich. Ein Priester gehörte am Rande zu einer Werbung dazu – eher als ein Händler, eher als ein Lehrling. Eine geistliche Gegenwart wäre… angemessen.
Hal hob eine Hand zu dem Diadem auf seiner Stirn, als wolle er sichergehen, dass das Gewicht ausgewogen war. Sein Kopf schmerzte, aber das könnte vom Gewicht des Stirnbandes kommen, oder von seiner Schlaflosigkeit oder von seinem Verlangen…
»Dann kommt, Pater«, sagte er grimmig. »Wir dürfen die Prinzessin nicht warten lassen.«
»Ja, Euer Majestät.« Der Priester verbeugte sich leicht und folgte ihm aus dem Raum.
Sie kamen in den Gängen an anderen vorbei, an Liantinern, die ihrer täglichen Arbeit im Schloss nachgingen. Hal nickte, wenn er es sollte, schaute nach links und rechts wie ein wirklicher König. Niemand blieb stehen, um ihn anzustarren. Niemand blieb stehen, um ihm schöne Augen zu machen. Sein gebrandmarktes Gewissen zeigte sich nicht auf seinem Gesicht oder in seiner edlen Kleidung. Soweit all diese Liantiner wussten, war Hal noch derselbe Mann, der er zuvor gewesen war, derselbe moralische König auf Brautwerbung.
Sogar Berylinas Kindermädchen wussten nicht, wie er sich in den vergangenen zwei Wochen verändert hatte.
»Mylord!«, sagte die Jüngere, sobald er den Sonnenraum betrat. Beide Bedienstete vollführten angemessene Hofknickse.
»Myladys«, erwiderte Hal höflich und bedeutete beiden Frauen, sich zu erheben. »Bitte! Kein Zeremoniell für mich!« Er zwang ein Lächeln auf seine Lippen. »Pater Siritalanu und ich dachten, wir könnten hier im Sonnenraum ein wenig am warmen Frühlingssonnenschein teilhaben.« Er wandte sich Berylina zu und wappnete sich. »Guten Morgen, Mylady.«
»Guten Morgen, Mylord«, erwiderte Berylina ohne Aufforderung durch ihre Kindermädchen – ein gutes Zeichen. Sie leckte sich jedoch nervös über die Lippen und zog somit bedauerliche Aufmerksamkeit auf die Hasenzähne, die ihrer Zunge in den Weg gerieten.
Hal trat zu den Fenstern hinüber und blickte auf den liantinischen Hafen hinab. Er wollte auf seinem Schiff sein. Er wollte Mairs Feuerlunge-Kraut nach Morenia zurückbringen, die schwierige Aufgabe beaufsichtigen, die alte Stadt niederzureißen und wieder neu aufzubauen. Aber er konnte noch nicht gehen. Er musste seine Mission hier erst beenden. Er zwang sich, sich zu konzentrieren und sich wieder dem Kind zuzuwenden, das er hofierte. »Habt Ihr heute schon gezeichnet, Mylady?«
Berylina errötete leicht und neigte den Kopf, um ihre Hände zu betrachten. Dennoch warf sie einen raschen Blick auf ihre Staffelei, und Hal trat hinüber, um das im Werden befindliche Werk zu betrachten.
Sie hatte begonnen, mit schwarzer Holzkohle zu zeichnen, eine Gestalt mit entschlossenen, energischen Linien zu umreißen. Der Umhang des Mannes fiel in ordentlichen Falten herab. Seine Beine waren gekonnt gezeichnet, so dass es schien, als schreite er aus dem Pergament hervor. Ein Diadem umgab seine Stirn, fing ein Lichtschimmern ein, und eine schwere Kette lag um seinen Hals. Hal trat näher heran, um diese Kette zu
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